Dinge der Woche: Deutschland bekämpft seine
Corona-Angst und atmet sich die Resilienz herbei. Gesichter
auf Masken helfen da aber auch nicht weiter.
Deutschland
erlebt Tage, die wie kalter Grüntee schmecken und einen grauen
Nebel über die Seele legen. Tage, an denen die Kunst des aneinander
Vorbeischauens zur Hochblüte kommt. Verstohlen wird die Maske
des Gegenübers gemustert. Was bedeutet dieser Kussmund? Das
Gesicht von Peter Altmeier oder der aufgemalte Schnurrbart,
der sogenannte Pornobalken?

Das
RKI gibt Handreichungen im Maskendschungel: Goldene herabhängende
Ohrenschlaufen mit freier Schlaufe sind jenen Personen vorbehalten,
die vier negative Corona-Tests vorweisen können. Porträts von
Corona-Leugnern auf der Maske müssen dem zuständigen Hausblockwart
gemeldet werden. Ansonsten gilt die Ampel: Rot für die erfolgreiche
Abwehr von mindestens zehn Hochrisikokontakten, Gelb für sechs
Monate Homeoffice mit Familie und Grün bekommt sowieso niemand.
Auch
die weiteren Vorschriften sind glasklar: In Bayern ist Ausatmen
verboten, in NRW ist alles verboten, in Baden-Württemberg auch
- aber nur in geschlossenen Privaträumen. In Thüringen dürfen
Lehrer vor 11 Uhr keinen Alkohol trinken, in Mecklenburg können
nur zwei Blutsverwandte in einen Strandkorb. In Hessen sind
fünf Jugendliche vier zu viel, in Berlin ist alles egal.
Dennoch
wird immer drängender die Frage gestellt, wie wir durch den
Herbst und Winter kommen. Lustvolle Extravaganzen helfen nicht
mehr. Eine Mahnrede der Kanzlerin lässt sich nicht einmal mit
botanisiertem Pfefferminzlikör schöntrinken. Die Liebe steht
unter Generalverdacht und beschränkt sich auf das gemeinsame
Gurgeln mit desinfizierendem Mundwasser unter Einhaltung des
Mindesabstands - oder auf die Umarmung eines Hefepilzes.
Psychologen
raten dazu, Resilienz zu trainieren. In Alltagssprache übersetzt
heisst das: Man soll die übliche Wurschtigkeit zu einer Ekstase
der Gleichgültigkeit steigern und auf neue R-Zahlen und Infektionsszenarien
mit einem nashornähnlichen Grunzen reagieren. Wenn das nicht
helfe, müsse man seine Angst da durch bekämpfen, dass man an
einen unbekannten Ort geht - also in eine katholische Kirche
etwa - oder einfach mal Majo statt Ketchup auf die Pommes quetscht.
Am Ende der Immunisierungsstrategie steht das Anhören eines
halbstündigen Telefon-Interviews mit Karl Lauterbach - wer das
durchsteht, ohne mit Schüttelfrost, Geschmacksverlust oder Krampfschluchzen
zu reagieren, hat einen Resilienzfaktor knapp unterhalb der
Totalimmunität und kann sich in jede illegale Party stürzen.

Krisenresiliente
Yogalehrer raten zum Atmen - ungeachtet aller Verbote. Der Atem
habe wesentlich zum Überleben der Menschheit beigetragen - neben
den allgegenwärtigen Serien privater Streamingsdienste. Deutschland
fing in dieser Woche also an, heimlich tief zu atmen. Die Menschen
atmeten so tief in sich hinein, dass sie erst nach Tagen wieder
herausfanden. Sie lächelten rote Ampeln zu und sahen, wie die
Wolken den Blick auf das Universum freigaben. Dort oben sass
jener Virologe mit der Engelsfrisur und spielte auf seiner Harfe.
Seine Botschaft: Noch acht Monate bis Bundestagwahl - pardon
- Impfbeginn.
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