Dinge der Woche: Im Südwesten findet an den
Schulen der grösste Luftaustausch der Geschichte statt. Und
im Osten Europas geht derweil die Welt von gestern unter.
An
den Schulen im Südwesten wurden zum ersten Mal seit Jahrzehnten
die Fenster geöffnet - offen ist bisher, ob der festgebackene
Mechanismus es zulässt, sie irgendwann wieder zu schliessen.
Es duftet nach Hygienemitteln in den Varianten Zeder-Moschus-Diesel
und Muskat-Mandel-Schweinemast. Selbst jene unentdeckten Abstellkammern,
in denen die AG Theater, Bühnenbild und Origami aus dem Jahr
1998 ihre nie bewerteten Arbeiten lagerten, wurden ausgeräumt
und boten faszinierende Einblicke in den Prozess der Materialzersetzung
unter Laborbedingungen. Die Emissionen zahlloser Nachmittagsstunden
in Latein und Physik wurde nach Jahren ins Freie abgeleitet
und lösten in verschiedenen Städten Feinstaubalarm aus. Alles
war vorbereitet für die ersten Kolonnen der Corona-Schüler.
Die näherten sich im fahlen Morgenlicht, gähnten in ihre Masken
und kommunizierten digital untereinander. Das bewährte Prinzip
des "Weiter so" schien noch einmal aufzuleben.

Ganz
anders in Osteuropa. Wo einst Birkenwälder, Quecksilberflüsse
und Weltkriegsdenkmale die ästhetische Grundierung des Alltags
bildeten, fanden sich Menschen zusammen, denen der Spät-Sozialismus
offenbar nichts mehr bedeutet. Sie haben irgendwie keine Lust
mehr, in einem metallurgischen Staatskomplex als Best-Arbeiter
prämiert zu werden und die Belohnung in Wodka umzusetzen.
Der
vierschrötige Machthaber mit Schnauzbart, der sich immer auf
seine Mischung aus Volksnähe und Bruitalität verlassen konnte,
schien ratlos. Er hatte seine beste gebügelte Tarnuniform aus
altsowjetischen Zeiten angelegt und die Kalaschnikow emporgereckt.
Hinter ihm stand, wie ein treues Eisenschwein, der Regierungshubschrauber
Mil-mi-24. Doch die Ikonographie der Macht löste nur Spott und
Verachtung aus.
Seine Militärs fürchteten
sich um ihre Spielplätze, um die Paraden mit Raketen, Haubitzen
und marschierenden Rekruten. Die Tellermützen, gross wie eine
Pizza familiale vom Kaufland, würde von der Bildfläche verschwinden
und die blanken Schädel der Offiziere den Strahlen maroder Atomkraftwerke
aussetzen. Die Ordenstapeten auf der Brust wären Stückgut für
die Flohmärkte.
Soll man Zugeständnisse
machen? Den Oppositionellen doch einige Wählerstimmen mehr schenken
als ursprünglich geplant? Die Wahlzettel wären schnell neu ausgefüllt.
Sonderrationen von Dauerwurst und Trockenobst noch aus erbeuteten
Wehrmachtsbeständen könnten die Stimmung im Volk ebenfalls heben.
Dazu ein paar neue Feiertage ("Tag der hingebungsvollen
Hausfrau", "Tag des ersten Ferngesprächs" oder
"Tag des unbekannten Traktoristen") - und alles könnte
doch wieder sein wie früher.

Doch
wie früher wird wohl nichts mehr. Pandemie und Freiheitssehnsüchte
schütteln die Welt von gestern durch. Und jene Schüler, die
ihren Deutschunterricht nicht komplett verdämmert hatten, tippen
gedankenverloren die Zeilen eines berühmten Brecht-Gedichts
in ihr Tablet.
"Es wechseln die
Zeiten. Die riesigen Pläne / Der Mächtigen kommen am Ende zum
Halt. / Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne. / Es wechseln
die Zeiten, da hilft kein Gewalt."
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