Dinge der Woche: Endlich ertönen in Deutschland
wieder die Sirenen und warnen vor allem Möglichen. Nicht auszudenken,
wenn man sie auch noch gehört hätte.
Diese
Woche sahen sich die Älteren unter uns in die beruhigenden Zeiten
des Kalten Krieges zurückversetzt, als die Welt noch aufgeräumt
war und die Tage in träger Zufriedenheit verstrichen. Grundiert
wurde dieser lethargische Gemütszustand von den regelmässig
aufheulenden Sirenen, die damals jeden Demokraten daran erinnerten,
dass drüben, im dunklen Osten, Straflager, Panzer und Diktatoren
das Bild beherrschten. Das Land war stark und abwehrbereit,
ein Gürtel von Supermärkten und Billig-Restaurants entlang der
Ostgrenze sollten die Spitzen der gegnerischen Verbände abfangen
und die Truppen mit Sonderangeboten, Bier aus Dosen und Gulasch
ausser Gefecht setzen.

Die
Politik hat sich jetzt dieser Sirenen erinnert und sie an die
neue Zeit angepasst. Ein bundesweiter Warntag soll künftig die
Menschen ermahnen, Leichtsinn zu meiden, Mass und Abstand zu
halten, argwöhnisch nach Osten zu blicken und jeden Tag frische
Unterhosen anzuziehen.
Die Signaltöne
gehorchen einer genauen Dramaturgie, die wir hier noch einmal
kursorisch darstellen. Zunächst versetzt ein anschwellender
Ton die Menschen in nervöse Anspannung. Sein allmähliches Verklingen
ist ein Trugschluss. Es folgen Staccatos und eine mixolydische
Tonleiter, die klingt, als habe ein drogensüchtiger Jazz-Saxofonist
in einem New Yorker Club einen richtig guten Tag gehabt. Sekunden
später animiert ein humorloser Techno-Beat die Menschen zu einem
ekstatischen Tanz auf dem Vulkan, schliesslich ertönt der Klagegesang
eines Buckelwals, der jeden an die eigene Sterblichkeit erinnert,
ein Marche funèbre der Katastrophenmusik.
Die
Politik zeigte sich mit der Wirkung zufrieden. Man habe mit
den vorhandenen drei oder vier Sirenen mindestens 400 bis 500
Menschen erreicht. Da ansonsten Stille herrschte, wurde eine
Panik vermieden. Allerdings stoppten viele Autofahrer bei Aufheulen
der Sirenen nicht sofort, um sich in den Strassengraben zu werfen.
Und anstatt in geordneter Formation die Notausgänge zu benutzen,
rannten die Menschen durcheinander, kauften Toilettenpapier
und umarmten zum letzten Mal Freunde und Partner. Es kam zu
Schweissausbrüchen, Scheidungen und Demonstrationen von Esotherikern
und Verschwörungstheoretikern, die hinter dem Sirenengeheul
eine geheime Botschaft erkannt haben wollten. Wenn man die Töne
rückwärts laufen lassen, sie anschliessend gegen das Licht halte
und im Backofen bei 136 Grad zwei Stunden garen lasse, werde
das Wort "Sauerteig" sichtbar. Was das bedeute, sei
ja klar.

Die
Politik will aber am Sirenenalarm festhalten und bei Konjunktureinbrüchen,
Abiturprüfungen und Verkehrstaus dröhnende Signale in den Äther
blasen. Eine Abteilung im Innenministerium sei beauftragt, 400
Heultöne zu entwerfen, die für jeden Anlass geeignet sind. Der
Schalldruck werde erhöht, um auch Jugendliche mit Kopfhörern
zu erreichen und unerwünschte Demonstrationen aufzulösen. Das
führe auch zum hochwillkommenden Zusammenbrechen alter Gebäude
und Brücken, der ausgelöste Sanierungsschub werde die Wirtschaft
beleben.
So viel zunächst dazu, wir
müssen Schluss machen - gerade ertönt die Feierabendsirene.
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