Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (02. August 2020)
 
Im Land des Lächelns
 

Dinge der Woche: Die Deutschen werden unter dem Diktat der Maske unversehens zu freundlichen Mitmenschen. Dieser Kulturbruch kann unabsehbare Folgen haben.

   Deutschland war noch nie ein Land des Lächelns. Wer lächelte, galt als unterwürfig, scheinheilig oder bestensfalls geistig verwirrt. Der Deutsche ging von einem schnarrenden, granitharten Imperativ meist ohne Umwege in ein polterndes Lachen auf Kosten Dritter über. Wenn ausgelacht war, glich das Terrain einer Mondlandschaft. Lächelnde Deutsche sind in der kulturellen Ikonografie meistens diabolische Gewaltmenschen oder heillose Träumer. Insofern kommt die Corona-Krise mit der Maskenpflicht dem deutschen Wesen entgegen. Die Maske verhindert sinnloses und falsche Erwartungen erweckendes Lächeln und fungiert als ideologiefreie Gleichmacherei.



   Diese Woche allerdings sah man doch immer wieder Menschen, die heimlich einfach drauflos lächelten. Experten vermuten eine Reaktion auf die erzwungene Enthaltsamkeit im sozialen Miteinander. In den ersten Konzerten und Theateraufführungen sass man zu fünft auf 2000 Quadratmeter Besucherraum und vermisste das vertraute Rascheln des Bonbonpapiers, den krächzenden Husten des Nebenmanns in genau jenem Moment, wenn sich ein kleiner Theaterskandal entfaltet oder ein glockenklarer Sopran vom Verlust der Liebe erzählt. Und bei den neuen Corona-Brettspielen musste man zwischen Badstrasse und Schlossallee hin und herlaufen oder den Spielstein mit einer Drohne absetzen.

   Die Maske aber wird dem Menschen immer näher - fast wie ein alter Freund, Kühlschrank oder Gebrauchtwagen. Schon jetzt berichten Lebende von dem schönen Gefühl, einen Mund-Nasenschutz zu küssen. Er habe sich als einfühlsam und zungenfertig entpuppt und noch Monate später Geschenke vorbeigebracht, die genau den Geschmack trafen.

   Kulturhistoriker sehen diese Banalisierung der Maske mit grosser Sorge und befürchten den Verlust der deutschen Identität. Noch nie in der Geschichte des Landes habe der Deutsche viel Wert auf seine Mitmenschen gelegt, es sei denn, er musste sie zur Ordnung rufen.



   Die Politik allerdings will Corona nutzen, um die Deutschen zum Miteinander zu zwingen. Zwar sei die menschliche Nähe manchmal unerträglich, es stinke dort, es sei laut und vulgär; dennoch müsse jetzt auf Teufel komm raus aneinandergerückt werden. Laut Wirtschaftsminister Altmaier reichen zwei Teller Fetticcine Alfredo täglich aus, um mittels leiblicher Expansion den Zwischenraum zum Nächsten auszufüllen. Auch die AfD will die Volksgemeinschaft stärken. Auf Schottergärten habe der Virus keine Überlebenschance und über den Drahtzaun hinweg könne man sich mit dem Nachbarn unterhalten - sofern er deutlich spricht. Freie-Wähler-Chef Aiwanger wusste auf Anfrage nicht genau, worum es geht, betonte aber, der Abstand zwischen zwei Gläsern Bier müsse kleiner werden. "Und wer lächelnd in eine Schweinshaxe beisst, muss halt sein Maul aufmachen."

   Derweil sickerte aus Berlin durch: Wer nachweislich unter der Maske lächelt, müsse sein Kurzarbeitergeld nicht mehr besteuern. Das sei eine Bazooka der zwischenmenschlichen Wärme, so Finanzminister Scholz. Deutschland dürfte sich in Kürze nicht mehr wiedererkennen.
 

 

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