Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (12. Juli 2020)
 
Die Wallfahrt auf Mallotze
 

Dinge der Woche: Endlich gibt es mal gute Nachrichten. Der Mensch isst und trinkt wieder, dass es kracht - und eine Insel im Mittelmeer eröffnet spirituelle Einsichten.

   Meldungen dieser Woche zufolge war das Leistungsniveau der Abiturienten noch nie so gut, was sich an den Durchschnittsnoten ablesen lasse. Offenbar entfalteten viele Lehrer ihre pädagogische Kernkompetenz erst in der Abgeschiedenheit des heimischen Studierzimmers, wo sie für niemanden erreichbar waren und bewusst jede Einflussnahme auf den Unterricht vermieden.



   Auch weltweit mehrten sich gute Nachrichten. Ein 36-jähriger Kalifornier ass 75 Hotdogs in zehn Minuten und stellte einen neuen Weltrekord auf. In britischen Pubs durfte wieder getrunken werden - Gerüchten zufolge sogar mit freiem Oberkörper - und im deutschen Fernsehen lief zu jeder Uhrzeit ein "Tatort" aus Münster.

   Über den südlichen Gestaden des Kontinents aber lag Stille wie ein feiner weisser Nebel. Vor allem eine Insel im Mittelmeer namens Mallorca, von den Einheimischen auch Malle oder Mallotze genannt, elektrisierte die deutschen Magazine. Sie entsandten ihre mutigsten Reporter dorthin - trotz des hohen Risikos. Bisher galt der Landeanflug als extrem riskant, weil die Wolken aus Bierdunst, dem Dampf von Tausenden Grills, Küchen, Badehosen und menschlichen Leibern auch dem modernsten Autopilot die Sicht vernebelten.

   Jetzt aber ist die Insel klar sichtbar und erzählt eine Geschichte des Menschseins abseits von Sprache, Schrift und Geist. Wissenschaftler durchsuchten die leeren Strände und fanden mehrere Tausend Tonnen ausgedrückter Zigaretten und Kondome, versteinerte Überreste eines sogenannten englischen Frühstücks und gut erhaltene Plastikeimer, in denen eine Melange aus Körperflüssigkeiten und Alkohol schwappte, die allerlei Mikroorganismen reiche Nahrung bot. Die Mittelgebirge aus Gummikrokodilen und sogenannten Schwimmnudeln - eine Spezialität der mallorquinischen Küche - sollen noch auf Spuren intelligenten Lebens untersucht werden.

   Erstmals seit dem Mittelalter war auch die Wallfahrt zum sogenannten Bierkönig ohne Voranmeldung möglich. Dort drängen sich normalerweise Tausende von Menschen um die Sangria-Quelle, die Heilung aller Gebrechen und seliges Vergessen verspricht. Gerüchten zufolge kehrten Besucher sogar von einem Besuch der Bierkönig-Toilette wohlbehalten zurück, was die Einheimischen von einem Wunder sprechen liess.



   Europa erstrahlt also in neuem Glanz - um eine der bewährtesten Formulierungen des Journalismus zu benutzen. Auch Venedig ist wieder sichtbar und zwingt die Historiker dazu, die Kulturgeschichte des Kontinents neu zu schreiben. Offenbar waren die bisher in der Lagune weithin sichtbaren bunten Röhren nicht Teile des Dogenpalastes, sondern die Wasserrutschen der vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffe.

   Mehr noch. Zum ersten Mal sah man auch, dass die Stadt offenbar über ein ausgefeiltes Netz von Kanälen verfügt, in die man seit Jahrhunderten gefälschte Handtaschen, Speisereste und zahlungsunwillige Besucher warf, um sie dann ins Mittelmeer treiben zu lassen. Eine chinesische Touristin schaffte es diese Woche bis ins Hafenbecken von Mallotze.
 

 

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