Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (07. Juli 2020)
 
Fabrikneue Nackensteaks
 

Dinge der Woche: An den deutschen Stränden herrscht ein Gedränge wie in den Fleischfabriken. Die Kanzlerin trägt heimlich Maske. Und gegen Corona helfen Tanzen und Knoblauch.

   Verstehe einer den Menschen. Am liebsten lebt er im Widerspruch mit sich selbst und bemerkt es lange nicht. Und wenn er doch nach einer halben Ewigkeit kapiert hat, was für ein Dödel er in Wirklichkeit ist, will er nichts davon wissen und schiebt die Verantwortung einfach auf einen anderen seiner widersprüchlichen Spezies, den nächstbesten Dödel. Kognitive Dissonanz nennt man in der Sozialpsychologie den Widerspruch zwischen Denken, Fühlen und Handeln.



   Und dann stellt man sich wirre Fragen, auf die womöglich weder Sozialpsychologen noch Virologen eine heilsame Antwort haben. Beispielsweise, ob eine Mitgliedschaft in diesem unaufsteigbaren Fussballgurkenverein Hamburger SV von den Sozialversicherungsträgern als schwere Berufskrankheit anerkannt wird? Leidet Angela Merkel vielleicht an einer unheilbaren Maskenallergie? So viele Amerikaner infizieren sich, warum nicht Donald Trump? Stimmt es, dass "Schweinegrippe" auf rumänisch "Tonnies" heisst? Und was ist appetitanregender: Ein volltätowierter Ostseestrand mit Teutonenknuspergrillgarantie oder die supergünstigen marinierten Fleischbatzen aus dem Discounter? Oder doch etwa dieses Gerücht namens Corona? Schon mal davon gehört? Auch nicht?

   Na, egal. Wichtig sind zurzeit nur zwei Dinge: Ein fabrikneues Nackensteak aus dem Kreis Gütersloh darf in Deutschland niemals mehr kosten als so ein Wirecard-Aktienpaket oder ein Corona-Schnelltest aus Markus Söders bayrischer Hausapotheke, also praktisch gar nichts. Und zweitens sollte man die jungen Dödel in diesem Land ruhig einfach mal ein bisschen abhotten lassen.

   Die Generation Corona hat schliesslich am meisten gelitten in dieser Ausnahmesituation, fast hätten wir ignoranten, faltigen Nackensteakvertilger dieses unfassbare Leid vergessen. Endlose zwölf Wochen ohne Dauerparty, Wildpinkeln, Abiball, Bierrausch und Dunpfpopgetöse - echt jetzt? Diese Zeit des Lockdown war viel schlimmer als der Lagerkoller in Stalingrad, der Hungerwinter 1946/47 oder der Anblick Boris Johnsons beim Liegestützenmachen.



   All diese Entbehrungen! Um die Sensibelchen nicht weiter zu stressen, sollte man ihnen zum Trost ihre schlechten Mathe-Abiturnoten jetzt deutlich anheben und sie mindestens bis zur Ankunft der zweiten Welle tanzen und trinken lassen, und zwar dort, wo sie alle sehen und hören können, in den Fussgängerzonen und Grünanlagen Stuttgarts, Frankfurts und Berlins. Die ganze Nacht am besten, noch besser jede Nacht, und wenn die Freaks dann zu wummernden Bässen ausrasten, keine Abstände einhalten oder gar Pflastersteine werfen, dann ist das nur eine harmlose Narretei und jemand anderes trägt die Schuld: Die Spiesser, Corona oder die bösen Spielverderber der Polizei.

   Ja, so einfach tickt die kränkliche Welt. Und wenn nichts hilft, auch das Zappeln im öffentlichen Raum nicht, hilft Knoblauch. Den empfahl die gesundheitspolitische Sprecherin der Berliner Grünen zur Corona-Behandlung monatelang auf ihrer Website, dann löschte sie den Eintrag. Im Verglich zu diesem Fall von schwerer kognitiver Dissonanz wirkt Donald Trump beinahe vernünftig.
 

 

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