Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. Juni 2020)
 
Pastinaken sind das neue Gold
 

Dinge der Woche: Die Deutschen vergraben sich und ihr Gemüse aus Angst vor dem Virus in der Erde. Dort unten ist es warm und sicher. Nur die Pflanzensamen gehen langsam aus.

   Wie es geht? Na ja, Appetit gut, aber sonst meist öde. Schulterzuckende Corona-Wurschtigkeit. Erinnerungen an vergangene Umarmungen tauchen nebulös auf, an gesellige Abstürze und das gute alte Alleinsein mit dem Fernseher als bestem Freund. Allgemeine Viren-Melancholie also. Könnte man jetzt stundenlang ausrollen wie einen leicht übel riechenden Teppich, der schon Abnutzungserscheinungen aufweist. Nur, wer will das lesen? In der Redaktion klare Tendenz: Man braucht etwas Aufbauendes, sommerlich Leichtes. So eine Art Prosecco-Essay mit Johannisbeer-Spritz.



   Okay, schreiben wir also darüber: Dass die Menschen in Deutschland spätestens seit dieser Woche ihr Liebe zum Garten entdecken. Sie wühlen, harken und graben sich in die Krume, wo sie auf versunkene Zeugen einer frühen Vor-Corona-Zivilisation stossen. Aktienpakete etwa, die stark an Wert verloren haben oder Bierflaschen, die von Gartenfestspielen Zeugnis ablegen, die jetzt unter strenger Strafe stehen. Experten vermuten, dass die pandemisch hereinbrechende Gartenarbeit auch dazu dient, vor der Welt zu fliehen. Hundertausende Deutsche sitzen unter der Grasnarbe un hören Musik von Lana del Rey. Dort unten ist die virenverseuchte Welt weit weg, höchstens eine kerngesunde Assel schaut neugierig auf die Eindringlinge aus der Oberwelt.

   Über ihnen wachsen Mangold, Staudensellerie und Zucchini. Nebenan vergräbt der Nachbar seinen alten Euro-5-Diesel drei Stockwerke tief in den Boden. Nach der kommenden Währungsreform will er ihn wieder herausholen, um zum Metzger zu fahren, der endlich wieder Mortadella im Schaufenster liegen hat. Links, unter dem unauffälligen Mehrfamilienhaus, liegen 47 Kilo Marihuana in der Regentonne, die der Nachbar ins Land schleuste, bevor überall die Grenzen geschlossen wurden.

   Lukrativer als der Handel mit relaxierenden Drogen ist aber mittlerweise der Samenschmuggel. Rentner verschucken Bohnen- und Pastinakensetzlinge, die sie sich sonst nicht mehr leisten könnten, und versuchen sie aus den sogenannten Gartenfachmärkten zu schleusen, die sich längst in Hochsicherheitszonen verwandelt haben. Es gibt Gerangel um die letzten Tomatenpflanzen, vor der Kasse reisst man sich die Mund-Nasen-Maske vom Gesicht, weil darunter eine Pompon-Dahlie-Blumenzwiebel versteckt ist. Das Schicksal eines zwangsverheirateten Blumenkohls bewegt die ganze Nation.



   Sollte die Corona-Krise noch länger andauern, wird Deutschland also wieder zu einem Agrarstaat. Mähdrescher werden wie Panzer durch die Wochenschauen rollen, Jungbäuerinnen können sich vor Heiratskandidaten kaum retten. Wer beim gemeinsamen Zucchini-Ernten im Grossstadtgarten zugibt, noch in einem Büro zu arbeiten, erntet nur noch Mitleid. Die Forschung an einem Impfstoff wird eingestellt. Stattdessen wird an Lavendel-Bier und an Kartoffeln geforscht, deren Nährwert auch für eine mittlere Elefantenherde bis zur dritten Welle der Pandemie reicht. Dazu trinkt man einen Kohlrabi-Weisskohl-Rhabarber-Spritz mit einem Bund Kapuzinerkresse - aus eigenem Anbau.
 

 

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