Dinge der Woche: Deutschland findet langsam
wieder in den Normalbtrieb und kann entspannt in die Vergangenheit
schauen. In dieser Disziplin macht uns niemand etwas vor.
Deutschland
erholt sich von der Corona-Pandemie und lässt Masken und Hemmungen
fallen. Die Debatte darüber, ob die Zustände an den Schulen
oder in den Schlachthöfen schlimmer sind, flaut ab. Bilder zeigen
eindeutig, dass die meisten Schweinehälften den geforderten
Mindestabstand einhalten, hiess es. Und an den Schulen geht
es ohnehin mächtig voran. Kommunalpolitiker weihen im Akkord
neue Sanitäreinrichtungen ein. Endlich müssen die Schüler nicht
mehr bei den Nachbarn klingeln, wenn sie auf die Toilette müssen.
Zwar hatten sich viele Handwerker aus hygienischen Gründen geweigert,
die Lehranstalten zu betreten. Doch rumänische Leichtlöhner,
die man aus den Schlachthöfen abkommandierte, stellten die nötigen
Anschlüsse rasch her und konnten sich danach endlich auch die
Hände waschen.

Weil
damit die drängendsten Probleme des Landes gelöst sind, kann
sich das Volk den Wunsch erfüllen, wieder in die Normalität
der Vor-Corona-Zeit, wenn nicht sogar in das Idyll versunkener
Jahrzehnte zurückzukehren. In eine Zeit also, in der man bedenkenlos
Fleisch verzehren konnte, Epidemien grundsätzlich im Ausland
standfanden und die Mutter das Mittagessen kochte, ohne zugleich
auf dem Laptop zu tippen. Jetzt trug die Politik solchen Sehnsüchten
endlich Rechnung und beschloss den Bau einer sogenannten Einheitswippe
in Berlin. Mit diesem gewaltigen Monument werde man weltweit
Massstäbe setzen, heisst es. Niemand auf der ganzen Welt habe
so etwas. Auf der Wippe erfahre man die ganze Wellenbewegung
der deutschen Geschichte und könne währenddessen eine vegane
Wurst essen. Zehn Minuten Geschichtsschaukeln sollten offenbar
nicht mehr als 2,50 Euro kosten, womit die Einheitswippe auch
für sozial schwache Familien erschwinglich wäre. Weitere Wippen
und Schaukeln sollen den Lahmen und Blinden, den Gastronomen
und Virologen, Einzelhändlern und Friseuren gewidmet werden.
Ein gewaltiges Planschbecken mit Matschgelegenheit wird an die
Heldenmütter der Corona-Krise erinnern.
Damit
festige das Land seinen Spitzenplatz in der Gedenkkultur, heisst
es in Berlin. Andere Länder verharrten in der überkommenen Ästhetik
von Reiterstatuen, Obelisken, Sarkophagen, Triumpfbögen, Kathedralen
oder Hauptpostämtern, die wie Kathedralen aussehen. Deutschlands
Riesenwippe stellt sie alle in den Schatten der Geschichte.
Ein kleiner Wermutstropfen war indes die Ankündigung des Wirtschaftsministers,
er werde die Schaukel als Erster besteigen. Einige der beteiligten
Statiker und Ingenieure versuchten daraufhin, Suizid zu begehen.

Deutschland
wird sich demnächst in eine Trance wippen. ähnlich jener Entrückung,
die man bei dem Konsum halblegaler Rauchwaren, dem Rausschauen
auf das Meer oder dem Betrachten einer Fliege im Honigglas empfindet.
Extremismus, Jobverlust und hoher Blutdruck werden ein für alle
Mal aus dem Bewusstsein hinausgewippt. Ein dunkles Wetterleuchten
am Horizont - Vorbote künftiger Verteilungskämpfe - könnte
ratzfatz ausgeblendet werden, heisst es. Man müsse nur auf die
andere Seite rüberrutschen und in die Vergangenheit blicken
- dort sei das Wetter immer schön.
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