Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. März 2020)
 
Das ist mein voller Ernest
 

Dinge der Woche: Am Anfang auch Frohsinn und weisses Hemd. Nach zwei Wochen Grauschleier und Feinripp. Aber lesen Sie selbst, was Homeoffice aus einem Menschen machen kann.

   Homeoffice, klingt irgendwie schick und modern. Nach flexiblem Arbeiten, inspirierenden Online-Konferenzen und zwischendrin kann man mit dem Wellensittich vors Haus. In den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hiess Homeoffice noch Heimarbeit. Frauen knüpften sich daheim für einen Hungerlohn an Wollteppichen die Finger blutig oder klebten Plastikhäuser für Eisenbahnlandschaften zusammen. Aber wenn sie zum Einkaufen mussten, waren sie rausgeputzt und brachten Licht in eine smogverhangene Welt.

   Ich bin seit zwei Wochen im Homeoffice und mit jedem Tag verneige ich mich tiefer vor diesen Heimarbeiterinnen. Es ist nicht so, dass ich daheim am Laptop in Selbstmitleid versinke. Aber ich verwahrlose als Lonesome-Writer zusehends. Dass ich mich morgens unter den Duschstrahl stelle, mache ich mehr aus Gewohnheit als aus Überzeugung. Schaue ich in den Spiegel, glotzt mir eine Art Hemmingway für Arme entgegen. Leider nur optisch, schreiberisch gräbt mir der alte Haudegen selbst aus dem Grab heraus das Wasser ab. Kein Witz, ist mein voller Ernest.



   Anfangs setzte ich mich noch im frisch gebügelten Hemd an den auf dem Esszimmertisch platzierten Rechner. Als der Hemdenvorrat aufgebraucht war, kamen Sweat- und T-Shirts zum Einsatz. Bei Tag zwölf war ich beim Feinripp angekommen. Weil geteiltes Leid halbes Leid ist, dachte ich, ich stelle ein Foto mit meiner neuen Arbeitskleidung ins Netz, woraufhin eine junge Online-Kollegin wortlos vom Stuhl gekippt sein soll.

   Einzig ein grosser Magier und Komödiant schien meinen Auftritt etwas abgewinnen zu können. Er schrieb mir: "Wo sich das Brusthaar stolz den Weg durchs Feinripp bricht, wie ein Löwenzahn durch den Stadtbeton, da hat das Testosteron noch was zu sagen." Der Mann hat mich verstanden und was bei mir gut. Sein neuestes Programm werde ich ungesehen in höchsten Tönen loben.

   Vielleicht wäre die Arbeit im Homeoffice halb so wild, wenn nicht ständig merkwürdige Nachrichten von der Welt da draussen auf einen einprasseln würden. Etwa am Montag, als die Stadt Stuttgart verlautbaren liess, dass bei Trauungen auf dem Standesamt nur noch Braut und Bräutigam anwesend sein dürften. Aus virologischer Sicht mag es dafür Gründe geben, aber durch die Hintertür bedeutet dieses ein Ende der Vielweiberei.

   Irritierend auch die Meldung, Jägermeister und Co. würden in der Corona-Krise Desinfektionsmittel herstellen, um entsprechende Engpässe zu überbrücken. Was, bitte, ist daran neu? Hochprozentiges wurde von Männern meiner Generation schon immer eine reinigende Wirkung zugeschrieben.



   Aber es ist nicht alles schlecht, was da draussen vor sich geht. Die Umwelt kann sich die Hände reiben. Am einst dreckigsten innerstädtischen Streckenabschnitt der Republik ist die Luft inzwischen so sauber, dass das Stuttgarter Neckartor in Kürze den Zusatz "Bad" erhält.

   Letzte Meldung aus dem Homeoffice: In den Tiefen meines Kleiderschranks habe ich ein Teil entdeckt, das mir wieder Würde verleiht. Zu diesen Zeilen trage ich mein letztes Hemd.
 

 

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