Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. Januar 2020)
 
Oma so lieb, Oma so nett
 

Dinge der Woche: Was hat der grösste Erfolg von Roland Kaiser mit einer "verunglückten" WDR-Satire zu tun? Eigentlich nichts. Doch wenn man lange genug darüber nachdenkt ...



   Seit meiner späten Jugend bewegt mich die Frage, wie man als Schlagertexter auf folgende Zeilen kommen kann: "Santa Maria / Insel, die aus Träumen geboren / Ich hab meine Sinne verloren / In dem Fieber, das wie Feuer brennt." Jetzt hat der Sänger Roland Kaiser das Geheimnis in einem "Zeit"-Interview gelüftet. Eigentlich habe er, unterstützt von dem Texter Norbert Hammerschmidt, das Schiff von Christoph Kolumbus besingen wollen. Bei der Plattenfirma aber sei das nicht gut angekommen. Es hiess, sie sollen lieber was über Liebe, Trauer, Strand und Erotik schreiben.

   Angesäuert zog sich das Duo zurück und leerte - bevor es sich an die Arbeit machte - eine Flasche Rotwein. Als es den Erguss tags darauf dem Produzenten präsentierte, war dieser hellauf begeistert. Der Einwurf von Roland Kaiser, das sei als Scherz gemeint, half nichts. Der Song wurde eingespielt - und zum grössten Erfolg des Sängers.

   Ich erzähle diese Geschichte, um darauf hinzuweisen, dass Lieder mitunter ein Eigenleben entwickeln, das keiner so veraussehen konnte. Vielleicht trifft das auch auf die Neuauflage des Kinderlieds "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" zu, das der WDR mit einem Kinderchor einspielte. Dass die Oma, die in der Urfassung eine "ganz patente Frau" ist, nun zur "Umweltsau" wird, stiess nicht überall auf Wohlgefallen. Von "Kindermissbrauch" war im Netz zu lesen - und dass man die öffentlich-rechtliche Anstalt einstampfen solle. Natürlich wollte man provozieren, aber diese Reaktion hatte man wohl nicht erwartet.

   Ich habe mir den Song ein paarmal angehört. Auch wenn ich nicht jede Zeile akustisch verstanden habe, an der einen oder anderen Stelle musste ich lachen. Die Produktion erinnerte mich an "Allegro für Annemarie" von Extrabreit, ein Geigenstück, in dem ein Mädchenchor singt: Annemarie, Du bist blond wie Bier. Annemarie, bitte tanz mit mir." Der Chor singt natürlich nicht "tanz", sondern das F-Wort, aber ich traue mich nicht, das in diesem auf Achtsamkeit bedachten Zeiten zu schreiben. Ähnlich wie die Umweltsau-Nummer des WDR zieht der Song seine Komik aus dem Gegensatz von Musik und Text.



   Meine Oma ist seit Jahren tot, was auch deshalb traurig ist, weil ich sie gern gefragt hätte, wie der Umweltsau-Song bei ihr ankommt. Ich wage die These, sie hätte sich nicht provoziert gefühlt. Warum auch, sie fuhr kein Motorrad, sondern einen bildschönen Simca, mit dem sie meines Wissens nach nie durch einen Hühnerstall kutschiert ist. Sie benutzte den Wagen für kurze Einkaufsfahrten, weshalb der Spritverbrauch hoch war. Aber bei nur 500 Kilometern im Jahr war ihr Enkel die grössere Umweltsau.

   Nun zum Vorwurf des Kindermissbrauchs. Wenn ich als Kind gefragt worden wäre, ob ich da mitsingen will, ich wäre Feuer und Flamme gewesen. Vermutlich hätte es mir sogar Spass gemacht, anstelle von "patente Frau" "Umweltsau" zu singen. Als in einem behütetem Umfeld aufgewachsendes Kind hätte ich sogar "Santa Maria / Insel, die aus Träumen geboren / Ich hab meine Sinne verloren / In dem Fieber, das wie Feuer brennt" schadlos weggesteckt.
 

 

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