Dinge der Woche: Was hat der grösste Erfolg
von Roland Kaiser mit einer "verunglückten" WDR-Satire
zu tun? Eigentlich nichts. Doch wenn man lange genug darüber
nachdenkt ...

Seit
meiner späten Jugend bewegt mich die Frage, wie man als Schlagertexter
auf folgende Zeilen kommen kann: "Santa Maria / Insel,
die aus Träumen geboren / Ich hab meine Sinne verloren / In
dem Fieber, das wie Feuer brennt." Jetzt hat der Sänger
Roland Kaiser das Geheimnis in einem "Zeit"-Interview
gelüftet. Eigentlich habe er, unterstützt von dem Texter Norbert
Hammerschmidt, das Schiff von Christoph Kolumbus besingen wollen.
Bei der Plattenfirma aber sei das nicht gut angekommen. Es hiess,
sie sollen lieber was über Liebe, Trauer, Strand und Erotik
schreiben.
Angesäuert zog sich das
Duo zurück und leerte - bevor es sich an die Arbeit machte -
eine Flasche Rotwein. Als es den Erguss tags darauf dem Produzenten
präsentierte, war dieser hellauf begeistert. Der Einwurf von
Roland Kaiser, das sei als Scherz gemeint, half nichts. Der
Song wurde eingespielt - und zum grössten Erfolg des Sängers.
Ich
erzähle diese Geschichte, um darauf hinzuweisen, dass Lieder
mitunter ein Eigenleben entwickeln, das keiner so veraussehen
konnte. Vielleicht trifft das auch auf die Neuauflage des Kinderlieds
"Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" zu, das
der WDR mit einem Kinderchor einspielte. Dass die Oma, die in
der Urfassung eine "ganz patente Frau" ist, nun zur
"Umweltsau" wird, stiess nicht überall auf Wohlgefallen.
Von "Kindermissbrauch" war im Netz zu lesen - und
dass man die öffentlich-rechtliche Anstalt einstampfen solle.
Natürlich wollte man provozieren, aber diese Reaktion hatte
man wohl nicht erwartet.
Ich habe mir
den Song ein paarmal angehört. Auch wenn ich nicht jede Zeile
akustisch verstanden habe, an der einen oder anderen Stelle
musste ich lachen. Die Produktion erinnerte mich an "Allegro
für Annemarie" von Extrabreit, ein Geigenstück, in dem
ein Mädchenchor singt: Annemarie, Du bist blond wie Bier. Annemarie,
bitte tanz mit mir." Der Chor singt natürlich nicht "tanz",
sondern das F-Wort, aber ich traue mich nicht, das in diesem
auf Achtsamkeit bedachten Zeiten zu schreiben. Ähnlich wie die
Umweltsau-Nummer des WDR zieht der Song seine Komik aus dem
Gegensatz von Musik und Text.

Meine
Oma ist seit Jahren tot, was auch deshalb traurig ist, weil
ich sie gern gefragt hätte, wie der Umweltsau-Song bei ihr ankommt.
Ich wage die These, sie hätte sich nicht provoziert gefühlt.
Warum auch, sie fuhr kein Motorrad, sondern einen bildschönen
Simca, mit dem sie meines Wissens nach nie durch einen Hühnerstall
kutschiert ist. Sie benutzte den Wagen für kurze Einkaufsfahrten,
weshalb der Spritverbrauch hoch war. Aber bei nur 500 Kilometern
im Jahr war ihr Enkel die grössere Umweltsau.
Nun
zum Vorwurf des Kindermissbrauchs. Wenn ich als Kind gefragt
worden wäre, ob ich da mitsingen will, ich wäre Feuer und Flamme
gewesen. Vermutlich hätte es mir sogar Spass gemacht, anstelle
von "patente Frau" "Umweltsau" zu singen.
Als in einem behütetem Umfeld aufgewachsendes Kind hätte ich
sogar "Santa Maria / Insel, die aus Träumen geboren / Ich
hab meine Sinne verloren / In dem Fieber, das wie Feuer brennt"
schadlos weggesteckt.
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