Kandidaten: Es wird kalt in Deutschland. Da
ist es gut, dass die SPD sich selbst und den Rest Deutschlands
erwärmt. Dafür musste sie aber durch die Hölle gehen.

Nach
einem letzten Zuzwinkern des Sommers zieht ganz Deutschland
die Nase hoch. Ölheizungen schicken einen russigen Gruss in
die Atmosphäre, bevor sie von kommunalen Energiewächtern abgeschaltet
und versiegelt werden. Wer wie früher zu Beginn der kühlen Jahreszeit
seine alten Autoreifen im Komfortkamin verbrennt, wird vom Nachbarn
angezeigt und muss zur Strafe in einer ungeheizten Volkshochschule
drei Jahre lang Seminare über Feinstaub und Egomanie belegen.
Wenn er seine steif gefrorenen Finger an einem Kaffeebecher
aus Kunststoff auftauen will, wird ihm die Aufenthaltsgenehmigung
für die städtischen Wärmestube entzogen. Der Betrieb von Autositzheizungen
ist nur an ungeraden Tagen nach Vollmond erlaubt. Wer an irgendeinen
überfüllten Strand fliegen will, wird von Klimaaktivisten in
der Drehtür des Flughafen eingeschlossen.
Deutschland
kühlt ab - nur in der Berliner SPD-Zentrale herrscht eine animalische
Hitze. Das Willy-Brandt-Haus erwärmt sich trotz einer Aussenisolierung
der Solidaritätstufe sechs halb Berlin. Die Willy-Brandt-Statue
im Foyer schwitzt, unter dem überwölbenden Glasdach ist der
Klimawandel in seiner Endstufe zu beobachten. Dort entladen
sich bei jeder Umfrage Wärmegewitter, eine ideologische Versteppung
greift um sich, in den Waschräumen steht das Wasser bis zur
Kevin-Kuhnert-Linie.
Für die Partei
selbst aber ist diese Erwärmung lebensrettend - angesichts des
eisigen Umgang mit früheren Führungsfiguren. Wurden jene bei
Erfolglosigkeit in einer sogenannten Nacht der langen Messer
hinterrücks erdolcht und die sterblichen Überreste im Parteiarchiv
tiefgefroren, umarmt die Basis jetzt ihre Führung, drückt sie
bis zur Atemnot, reicht über Gräben die Hand, scheut sich nicht
einmal, den amtierenden Finanzminister die Glatze zu küssen.

Eingeleitet
wurde diese Emotionalisierung durch die zurückliegende Kandidatenkür.
Ein verlorener Haufen von Genossinnen und Genossen schleppte
sich durch Deutschland, und warf sich, Bettelmönchen gleich,
vor dem Parteivolk in den Staub. Die Live-Übertragung dieses
modernen Golgathas der Basisdemokratie in TV und Internet stiess
auf Entsetzen und löste die Forderung nach mehr Jugendschutz
in den Medien aus. Die Kandidaten mussten an Ketten zu einem
willkürlich gewählten Umfragehoch klettern, mit ideologischem
Ballast an den Füssen über eine Fünf-Prozent-Hürde springen,
in weniger als zehn Minuten eine Sozialwohnung mit S-Bahn-Anschluss
bauen, mehrere Minuten für die Partei brennen und unter Wasser
binnen Sekunden die Schuldenbremse lösen. Eine unbarmherzige
Regie zwang sie dazu, stundenlang auf schmerzhaften Barhockern
zu sitzen. Wer ohnmächtig wurde, war raus.
Zeugen
des Folter-Parcours erzählten, die fast unerträglichen Strapazen
dieser Runden hätten die Partei am Ende doch mit sich selbst
versöhnt und ihr ein fast menschliches Gesicht verliehen. Und
tatsächlich: Im Darknet kursiert seitdem ein verschwommenes
Bild eines warmherzigen lächelnden älteren Mannes, der offenbar
Ralf Stegner ist. Fachleute sprechen von einem Wunder.
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