Dinge, so oder so

 

Die Dinge des E-Biken (20. Oktober 2019)
 
Der Berg stromt
 

Nur fliegen ist noch schöner. E-Biker am Berg sind einfach unschlagbar. Und zurück ins Tal geht's mit der Bergbahn.



Zum Grauen aller Echtradler erobern E-Biker nun auch noch die Berge. Aber es gibt eine Lösung.

   Radfahren soll Spass machen, hört man immer wieder. So ein Unsinn. Man kennt das ja. Zwei Männer auf Rädern, ein Berg - das Ergebnis ist ein Rennen. Oft erbarmungslos gegen sich selbst, gegen die Warnungen des Hausarztes und auch gegen jede Vernunft, die etwas murmelt von Maximalpuls ist gleich 200 minus Lebensalter. Mag sein. Doch solange noch ein Funken Leben im Mann ist, gilt die alte Radlerregel: Lieber tot als Zweiter. Ohne diese genetische Verankerung hätten wir früher nicht mal einen Feldhasen in die Höhle geschleppt, geschweige denn ein Mammut. Gut, wahrscheinlich wäre die Menschheit mit etwas weniger testosteronschwangeren Gehabe einiges erspart geblieben. Aber beim Radfahren hat Sanftmut keinen Platz.

   Wenn es blöd läuft, kann einen die Lust an der Last in die nächste Notaufnahme bringen, aber sie ist wenigstens fair. Männer, Räder, Berg, Aus. Gut - manche Radler sind ein wenig schwerer als andere, aber das Plus an Unterhautfettgewebe kann man mit sündhaft teuren, federleichten Hightech-Möhren mildern. Die Lebensjahre zählen auch nicht, es gibt keine alten Radler, sondern nur gute oder schlechte. So soll es sein, aber so ist es nicht mehr. Wir sind nicht mehr allein, die E-Biker übernehmen die Regie. Leider nicht in betreuten Parks für Sattel-Softies, sondern mitten im Wald und selbst an steilen Trails hochalpin. Der Berg ruft nicht mehr, er stromt.

   Auffahrt zur Bloch-Hütte in den Dolomiten. Schmale Kiestrails durch grüne Matten, manchmal auch durch Fels. Es ist recht steil, der Tacho pendelt zwischen fünf und sieben Sachen, das Herz schlägt im Hals, Schweiss brennt in den Augen, es sind noch gut 300 Höhenmeter. Also rein ins Bikermantra: Treten - Atmen - Treten - Atmen. Plötzlich schrillt eine Klingel. Gut, denkt man, kurz vor dem Tod können einem die Sinne einen Streich spielen, aber auf einmal schieben sich, ach was, schweben E-Biker vorbei. Aufgeräumte Frauen udn Männer zwischen Best Ager und Frührentner. Bunte Multifunktionskleidung, Trapperhüte, Tennisschuhe. Die Meute unterhält sich, nickt uns huldvoll zu, eine fröhliche Frau hat nur eine Hand am Lenker, mit der anderen fotografiert sie uns. Wahrscheinlich whatsappt sie das nach Hause und schreibt drunter: Schaut mal, Öhis.

   Kontern ist sinnlos. Und trotzdem ... 15 Tritte vielleicht, dann ist Schicht. Kurz kehrt Ruhe ein, dann surrt die nächste Gruppe vorbei. Man hört Sätze des Grauens wie "Ich habe noch 50 Prozent, ich schalte jetzt auf Turbo". Und dann brettert er los, dass der Kies spritzt, Wenn wir auf der Hütte sind, werden die besten Plätze auf der Terrasse belegt sein, ganz sicher. Nun gut, es waren dann doch noch einige frei, aber da sitzen jetzt Menschen um einen herum, die früher maximal mit der Bergbahn hier heraufgekommen wären. Oder mit dem Heli. "Ist das nicht anstrengend?", fragt eine Frau und deutet auf das motorlose Bike. Lächeln bis zum Ohr und lügen. "Nur ein bisschen." Die Meute trinkt Hefeweizen und lädt an der speziellen Station der Hütte (!!!) Akku. Wir planen bei Wasser und Rotwein (gut fürs Blut) den Konter. Abwärts gibt's Saures, die schweren E-Bikes müssen schliesslich vor den Kehren deutlich früher bremsen. Ha.

   Es wird nichts draus, weil die E-Biker nur ein paar Hundert Meter über sanft fallende Almen rollen und dann mitsamt ihrem Geraffel in die Bergbahn steigen. Rauf mit dem Rad, runter mit der Bahn - die Welt steht kopf. Und die Schlacht ist verloren. Wir, die wir bei Hitparaden Steppenwolf oder U.F.O. wählen und Muskelkater als Ehre empfinden, sterben genauso aus wie Räder ohne Motor. Steigungen, die einst als Ritterschlag für Wade und Herz galten und deren Namen mit Ehrfurcht in der Stimme ausgesprochen wurden, rotzt man heute mit einer einzigen Batterieladung im 18er-Schritt rauf. Neulich raste einer auf 2000 Meter Höhe mit Kinderanhänger vorbei, Der Kleine lachte, schwenkte ein Fähnchen. Will man da noch länger leben?

   Es hilft nichts, man muss den Feind ins Auge sehen. Klar, wenn man so ein E-Bike mietet, muss das geheim bleiben. Faschingperücke, Klebeschnauzer und dann rein in den Berg. Das Ding geht ab wie ein nervöses Moped. Der Atem bleibt trotzdem flach, der Berg wirkt plötzlich so - wie soll ich sagen? - eben. So was darf doch keinen Spass machen. Tut es aber dann doch, verdammt noch mal. Und auch der säuerliche Selbstekel löst sich mit jedem Kilometer immer mehr auf. Rechts tauchen schwer tretende Echtradler auf. Nicht gut. Blick starr nach links. Scham steigt auf, trotzdem volle Latte vorbei. "Ist das erlaubt?" ruft ein entnervter Motorloser aus feuerrotem Gesicht. Sieht ganz so aus. Es wird nicht mehr zu verhindern sein - die Berge werden durch E zum Radrevier für alle.

   Zum Glück gibt es eine Lösung, die den Genen hilft. Wenn man sie nicht los wird, muss man sie wenigstens abhängen. Dazu reicht ein halbes km/h mehr treten, als der Motor hilft. Also 25,5. Das ist zwar mit so einem schweren Ding hart - aber so soll es ja auch sein.
 

 

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