Während Andreas Scheuer in Luxemburg mit der
Maut gegen die Wand fährt, warnt Heiko Maas vor dem Weltunfall.
Und Jürgen Habermas? Kann keiner bremsen.
Unsere
herzlichen Glückwünsche gehen diese Woche an Jürgen Habermas,
dem Top-Influencer der 60er und 70er Jahre. Für alle Kulturverächter,
Youtube-Leser und Freunde lauer Fernsehfussballabende ohne allzu
viel Analysevermögen: Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas ist
und bleibt nach Lothar Matthäus und Rezo die führende künstliche
Intelligenz in Deutschland und womöglich der Allerletzte in
diesem Land, der noch die Gross- und Kleinschreibung fliessend
beherrscht.

Dieser
Tage feierte also der letzte Spross der Frankfurter Schule seinen
90. Geburtstag, womit er beinahe so alt wie Georg Wilhelm Friedrich
Hegel, der Frauenfussball und das Bauhaus ist. Tatsächlich gilt
Habermas in gewissen universitären Kreisen südlich der Benrather
Linie als klassiche geisteswissenschaftlioche Schönheit, formvollendet
wie eine graumelierte Wagenfeld-Lampe, so erotisch wie ein kompostiertes
Suhrkamp-Taschenbuch auf einem nassgeschwitzten Bettlaken in
einer rauchgeschwängerten Studentenbude morgens um halb vier.
Jürgen
Habermas verstehen heisst stets, auf die Rede, den eingeschobenen
Relativsatz und die Kraft des Arguments zu vertrauen, selbst
wenn der andere ein strammer Rechtsausleger ist. Besonders christliche
Politiker halten bis heute ihre Habermas-Bibeln in Ehren und
greifen ins Buchregal, wenn ihr Leben etwas Abstraktion benötigt.
Annegret Kramp-Karrenbauer beispielsweise liest schon seit vielen
Jahren am Vorwort der zwei Bände von "Theorie des kommunikativen
Handels", fällt aber spätestens beim Begriff der "idealen
Sprechaktsituation" jedes Mal in komatösen Tiefschlaf.
Der Verkehrsminister Andreas Scheuer widerum verwendet Habermas
neueste, gut anderthalbtausend Seiten zählende Abhandlung über
die Religion als Unterlegkeil für seinen alten BMW. Keine Frage,
wer Jürgen Habermas schätzt, mag auch die Demokratie, sackartige
Herrenanzüge, Eselsohren, Mietpreisdeckel, Fremdwörter, Friedenspreise,
volle Aschenbecher und Carolin Emkes Helmfrisur,
Einst
haben sich die Achtundsechziger mit Habermas' Schriften in andere
Bewustseinsspähren gelesen, seine Bücher wurden zum Rauschmittel
einer moderat linksliberalen Gutbürgerschaft. Verfassungspatriotismus
war plötzlich sexy, nuschelnde Typen mit Lippenspalten ebenso.
Wer nicht mindestens zwei Seiten aus dem Band über "Legitimationsprobleme
im Spätkapitalismus" auswendig herunterbeten konnte, musste
nach der peppigen Sandalenparty im Sozialistischen Studentenbund
alleine pennen gehen.

Schön
war es. Heute freilich können nur noch die wenigsten in der
Fussgängerzone etwas mit dem Namen Habermas anfangen und verwechseln
ihn mit Hafermus, einem neuen Porridge-Rezept für Veganer. Oder
mit diesem unablässig Warnungen vor sich hin tweetenden Heiko
Maas, der als Aussenminister fast so viele Flugmeilen gesammelt
hat wie Habermas' Lebenswerk Seiten umfasst, nur leider ohne
dessen Erfolg. Man liest einfach weniger. Und wenn, dann höchstens
mal die Packungsbeilage einer Sonnenschutzmilch, Greta Thunbergs
exzellentes Schulzeugnis oder ein Kinderbuch von Robert Habeck.
Das muss auch mal reichen.
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