Die stolze Arbeiterpartei SPD sucht einen
neuen Chef. Das Anforderungsprofil hat es in sich - aber wer
sicht durchsetzt, kriegt einen Bombenjob.
Es
sind trübe Tage zwischen Herne und Drochtersen, zwischen Pfaffenhofen
und Sinzig. Durch die Scheiben der Gaststätten dringt kaum Licht,
auf den Schwarz-Weiss-Bildern verwittern die Helden der Arbeiterbewegung,
der Zapfhahn tropft mit stoischer Melancholie. In den SPD-Ortsvereinen
sitzt man mit aufgestützten Ellenbogen am Tisch und beobachtet,
wie die Frikadelle in der Glasvitrine genauso schrumpft wie
die Anziehungskraft der Sozialdemokratie. War das nun das Ende?
Mit einem Führungstrio der Bedeutungslosigkeit entgegen zu stolpern,
das sich schönzutrinken einfach nicht mehr gelingen wollte?

Dabei
hatte man einen so langen Weg zurückgelegt. Brüder zur Sonne
... Lange Zeit wie Aussätzige behandelt gehörte man später zur
Speerspitze des Aufbruchs, liess den Wind des Wandels durch
die Flure der Republik wehen und bekam auskömmliche Posten in
einer sich organisch über das Land ausbreitenden Bürokratie.
Man hatte tiefe Täler durchwandert und lichte Höhen erklommen.
Doch irgendwann war das Volk verloren gegangen. Und heute dringt
kein Arbeiterlied mehr aus den Wohnzimmern, sondern nur noch
das fahl flackernde Licht der Bildschirme, in denen Youtube-Helden
idiologiefreie Weisheiten in die Welt schleudern.
Doch
aufgeben kommt für eine so stolze Partei nicht infrage. Man
benötige jetzt einen Chef mit Charisma, heisst es. An der Basis
löste das Ratlosigkeit aus, verband man mit dem Wort Charisma
bisher eine arabische Zweitfrau oder die Kichererbsencreme von
der Imbissbude zwei Strassen weiter. Eine Recherche ergab: Charisma
ist das , was Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder
hatten - eine Ausstrahlung, ein Glanz und ein Feuer, das die
meisten Ortsvereine schon lange nicht mehr erwärmt. Die kommende
SPD-Führungsriege müsste die melancholische Maskulinität Brandts
haben, auf dessen erotische Ausschweifungen aber verzichten,
heisst es. Sie dürfe, wie Andrea Nahles auch mal quietschen,
ohne an Seriösität zu verlieren. Sie verfüge über den rotzigen
Facharbeiter-Fussball-Kumpel-Charme Schröders - gepaart mit
digitaler Lässigkeit - und nicht zuletzt über das juventile,
aber ordnungspolitisch gezähmte Aufbegehren eines Kevin Kühnert.

Den
Bewerbern steht ein nervenzerfetzendes Auswahlverfahren bevor.
Wer sich am Ende durchsetzt, dem winken Vergünstigungen, aber
auch Pflichten. Er bekommt einen Dreimonatsvertrag als SPD-Chef,
ein Fotoshooting in einem Stahlwerk und die Erlaubnis, im Karneval
mit einer Herbert-Wehner-Maske herumzulaufen. Auf Parteitagen
muss er Reden halten, in denen es um den modernen Sozialstaat
geht, der auch der jungen Generation Luft zum Atmen ... und
so weiter. Er muss der Basis Labsal bis zum letzten Pils spenden
und seine Abneigung gegen Windjacken und gemusterte Wollpullunder
verbergen.
So wartet man zwischen Jena
und Gerolzhofen auf den Erlöser. Die politische Konkurrenz blickt
aelbst schon sorgenvoll auf das eigene, bereits abgenutzte Personal.
Doch die SPD zeigt sich grosszügig. Man werde den neuen Chef
gegen eine moderate Leasinggebühr an jede andere Partei ausleihen,
die ähnlich ausgeblutet ist.
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