Alle reden vom Klima, wir vom Wetter: Könnten
wir, bevor wir die Welt retten, noch kurz das Dach einer Stadtbahn-Haltestelle
reparieren?
Tropf. Ich stehe an einer
Stadtbahn-Haltestelle in Stuttgart und es regnet durchs Dach.
Es ist der Dienstag dieser Woche, das Tief Bernhard treibt sein
Unwesen und lässt es ausgiebig regnen. Vielleicht ist es auch
das Tief Claudius. Ich kann nicht mehr richtig entziffern, was
in der Zeitung steht, alles verschwimmt.
Tropf.
Das Dach dieser Haltestelle ist schon seit Längerem marode.
Doch keinen scheint's zu interessieren. Für mich steht das Dach
sinnbildlich dafür, was hier in Deutschland schiefläuft. Die
Infrastruktur lassen sie verlottern. Stattdessen stecken sie
alles in sogenanntes Soziales. Jetzt will die SPD eine Respekt-Rente
einführen. Ohne Prüfung der Bedürftigkeit. Respekt, das ist
frech. Und was ist mit Respekt vor Stadtbahnfahrern wie mir?

Tropf.
Draussen hat es aufgehört zu regnen, unterm Dach aber noch nicht.
Man kennt den Effekt vom Wald. Ich bleibe unterm Dach stehen,
demonstrativ. Ich will auch mal ein Opfer sein, ein Opfer von
verfehlter Politik. Käme jetzt ein Kamerateam einer dieser Betroffenheitssender,
ich könnte durchnässt in die Kamera jammern.
Tropf.
Am Vorabend hatte ich mit meinem besten Freund telefoniert.
Er wohnt in den Niederlanden und ist am Montag eigens mit dem
Auto nach Deutschland gefahren, um dort das Abstiegsspiel des
VfB Stuttgart gucken zu können. Gerade als ich ihn fragen wollte,
ob er das selbst als eingefleischter VfB-Fan nicht etwas verrückt
findet, brach die Verbindung ab. Wenig später rief er zurück.
Er habe gerade die deutsche Grenze überquert, erläuterte er.
Dies merke man daran, dass die Funklöcher anfingen. Deutschland
deine Infrastruktur. Tropf, Sie haben Ihr Ziel erreicht.
Tropf.
Ich will ja nicht penetrant erscheinen, aber ich würde schon
gerne wissen, wer in Stuttgart eigentlich für die Dichtheit
von Stadtbahn-Haltestellen-Überdachungen zuständig ist. Da muss
es doch eine Stadtbahn-Haltestellen-Überdachungsverordnung geben,
aus der hervorgeht, wer dafür zuständig sein muss. Na? Keine
Chance, die Leute sind total entrückt. Alle reden übers Klima,
ich rede übers Wetter.
Tropf. Klimaschutz
ist aus verschiedenen Gründen ein Superthema. Vor allem ist
es hinreichend unkonkret. Beim Klimaschutz geht es um alles
und gleichzeitig damit irgendwie auch wieder um nichts. Man
kommt durch mit Appellen und Symbolpolitik. Als Klimaschützer
wirst du inzwischen bereits anerkannt, wenn du einen fleischlosen
Burger bei Lidl kaufst. Um hingegen eine Stadtbahn-Haltestellen-Überdachung
in Schuss zu halten, brauchst du ganz andere Dinge. Vor allem
Handwerker!

Nein.
In diesem letzten Absatz kein Tropf mehr, es hat sich ausgetropft.
Wir wollen ja niemanden nerven. Wenn mich aber einer fragen
würde, welche Lehren ich aus Europa- und Kommunalwahlen vom
vergangenen Sonntag ziehen würde, würde ich sagen: Da der Mensch
offenbar nicht sehr ein- und weitsichtig handeln kann, sollte
seine Zahl nicht mehr gross zunehmen. Denkt also mal über das
Bevölkerungswachstum auf dieser Erde nach. Und wenn ich noch
innenpolitisch etwas Schlaues hinzufügen darf, gerade auch vor
dem Eindruck meiner Stadtbahn-Haltestellen-Erfahrung, dann wäre
dies folgender neunmalkluger Satz: Die bisherige Politik gehört
neu überdacht.
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