Früher hatten wir nur Flugangst. Heute kommt
die Flugscham dazu. Beobachtungen beim Besuch auf einer Insel,
auf der die Autos auf der falschen Seite fahren.
Es
muss nach jener Nacht gewesen sein, in der Madonna vom Stimmbruch
überrascht worden war. In einem Zug ging es frühmorgens an die
See. Im Grunde nichts besonderes, aber ich fuhr noch nie in
einem Zug mit Quiet Couch.

Quiet
Couch ist ein Zugabteil, in dem man ausser den Fahrgeräuschen
nichts hört. Theoretisch. Eine Art Andachtsraum auf Schienen.
Ob ich da jetzt jetzt einfach durchmarschieren könne, wende
ich mich mit fragenden Blicke meiner Begleitung zu. Oder ob
es üblich sei, hier die Schuhe auszuziehen und auf Zehenspitzen
durchzutrippeln. Kopfschütteln.
Das
letzte Mal war ich vor 20 Jahren auf der Insel. Immer, wenn
ich hierherkomme, verliebe ich mich aufs Neue in die Eingebornenen
und deren Bräuche und Erfindungen. Ich finde es grossartig,
dass es sie nicht zu stören scheint, wenn im Quiet Couch eine
Mutter mit Kleinkind mitreist. Gern hätte ich gefragt, ob das
Kindergeschrei sie nicht nervt. Aber als Ausländer hält man
in einem Quiet Couch lieber die Klappe.
Falls
Sie sich fragen sollten: Und wie bist du auf die Insel gekommen?
Ja, ich habe es getan. Ich bin geflogen. Aber ich kann Ihnen
sagen, leicht fiel es mir nicht. Zur Flugangst kommt jetzt auch
noch die Flugscham hinzu. Insofern haben diese "Friday
for Future"-Kids bei mir volle Arbeit geleistet. Um mein
schlechtes Gewissen zu beruhigen, habe ich beim Buchen des Tickets
einen Euro für die Umwelt gespendet. Keine Ahnung, wie der Fachbegriff
dafür lautet. Nennt man das, in Anlehnung ans Trinkgeld, Stinkgeld?
Den
Gedanken an den Brexit fand ich bisher unangenehm. Seit meinem
Kurzbesuch auf der Insel ist die Vorstellung unerträglich. Kann
es wirklich sein, dass wir eine Nation gehen lassen, in der
es üblich ist, dass man sich beim Aussteigen aus dem Linienbus
beim Fahrer bedankt? Klar, es gibt auch Schattenseiten. Kaum
lugt ein Sonnenstrahl durch die Wolken hindurch, reissen sich
die männlichen Inselbewohner die Hemden vom Leib. Nobody is
perfect.
Grossartiger Blick vom Café
im oberen Stock des Tate-Modern-Museums auf Themse und St-Pauls-Kathedrale.
Neben mir nehmen zwei junge Deutsche Platz. Ich habe nicht nach
dem Pass gefragt. Ich schliesse aus dem Satz "Ich schau
jetzt mal nach veganen Restaurants" auf ihre Herkunft.
Dann daddelt sie auf ihrem Schlauphone, während er unweit meiner
Nase ein Ei pellt. Dem Geruch nach wurde das Ei schon länger
im Rucksack durch London geschleppt.

Ich
habe nichts gegen Veganer. Ich besitze sogar ein Kochbuch mit
veganen Gerichten. Hat mir Peta nach einer Glosse über Veganer
zugeschickt. Aber was ich hasse, sind eierfressende Pseudo-Veganer,
die ihr mitgebrachtes Zeug in einem Londoner Lokal futtern.
Aus einer Tüte mit der Aufschrift "Baby Leave Salad"
zupft der Eiertyp Salatblätter. Eier und Babysalatblätter! Das
ist Mord an ungeborenen Salatköpfen und Hühnern!
Auf
dem Weg zum Flughafen fährt der Bus an einem Blumenladen vorbei,
über dessen Eingang "Forget me not" steht. Tue ich
nicht, liebe Inselbewohner, ich vergesse euch nicht. Und das
mit dem Brexit - überleg es euch noch einmal. Ihr könnt mich
doch mit diesen Baby-Leave-Salad-Killern nicht allein lassen.
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