Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (19. Mai 2019)
 
Das letzte Sparbuch aufgegessen
 

Die Deutschen müssen in Zeiten der Wirtschaftskrise wieder lernen, richtig zu arbeiten und klaglos zu hungern. Nur einer nicht.



   Düstere Menetekel am Horizont: In Bayern wird ein neuer Kreisverkehr doch nicht - wie geplant - aus Marmor gebaut. In Dresden serviert man eine Pizza Vierjahreszeiten ohne Herbst und Winter. In Frankfurt trägt ein Börsenmakler eine Jogginghose bei der Arbeit. In den Autohäusern blickt man melancholisch auf die Felgen unverkäuflicher Modelle, die sich genauso eintrüben wie die wirtschaftliche Lage. An den Schulen steht das Thema Hunger auf dem Lehrplan. Doch die hohläugigen Kinder starren nur teilnahmslos vor sich hin und ritzen die Konturen eines Schokomuffins in die Tische. Martin Walsers 376. Roman trägt den Titel "Unteressen", Netflix startet eine neue Serie mit dem Titel "The Fridge" (es geht irgendwie um leere Kühlschränke und Kannibalismus). Im Ruhrgebiet nimmt ein entlassener Buchhalter eine Familie als Geisel und verlangt im Austausch einen "All-you-can-eat"-Gutschein fürs China-Restaurant. Eine 60-Cent-Jeans bei Primark kostet schon einen Tag später inflationäre 2500 Euro. Bankkunden essen ihr Sparbuch auf, bevor das Guthaben den letzten Nährwert verliert.

   Die Menschen sind von der lange herbeigeredeten Wirtschaftskrise voll erwischt worden. An üppige Kost und hohe Blutfettwerte gewöhnt, schleichen sie jetzt gierig um eine einzelne Erbse auf dem Teller herum. Forscher wittern die metallische Stimmung einer baldigen Revolution, im Kanzleramt geht um 9 Uhr das Licht aus. Zwar helfen alte Freunde, Griechenland und Nordkorea schicken Flugzeuge mit Hilfslieferungen, die allerdings kaum, dass sie in Tempelhof gelandet sind, von dortigen kriminellen Clans geplündert werden.

   Was tun? Man blickt mit zusammengekniffenen Augen nach China, wo gearbeitet und geforscht wird, dass die Schwarte kracht. Die grosse Koalition verabschiedet deswegen ein Urlaubsanpassungsgesetz "Schön und nachhaltiger Urlauben", mit dem Unternehmen ihre Angestellten vier Wochen im Jahr nach Shenzhen schicken können. Dort müssen sie 18 Stunden täglich Smartphones zusammenlöten und sich danach genetisch ausweiden lassen. Zur Belohnung winkt dann abends ein kollektives Sattessen mit trockenem Reis an üppiger Sojasosse. Diese Asien-Verschickung ist als Weiterbildungsmassnahme steuerlich absetzbar.



   Nur der Wirtschaftsminister gibt sich zuversichtlich. Jetzt müsse die Binnennachfrage gestärkt werden - er werde mit gutem Beispiel vorangehen. Und tatsächlich, nach einer Talkrunde in der ARD verschwindet sein Widerpart Kevin Kühnert spurlos. Er wisse nichts über dessen Verbleib, so der Minister. Vorwürfe, er habe den Juso-Chef nach einem Aperitif an der Hotelbar auf sein Zimmer gelockt und aufgegessen, entbehre jeder rechtlichen Grundlage. Seine antizyklische Politik orientiere sich vielmehr am Vorbild des Wirtschaftskanzlers Schröder, der einst einen Gefolgsmann aufgefordert hatte, ihm eine Flasche Bier zu holen. Millionen Bürger taten es ihm gleich, kauften Bier und entfesselten das zweite Wirtschaftswunder.

   Er werde zeigen, dass dieses Modell auch auf Rotwein, Kalbszunge und andere Branchen anwendbar sei, so Altmaier. Deutschland müsse sich wieder an die Weltspitze essen. Und tatsächlich: Ende der Woche glühten in den ersten Pizzerien wieder die Hochöfen.
 

 

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