Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. Januar 2019)
 
Brüssel spielt jetzt "Was ihr wollt"
 

In London regiert eine Ornamentkrawatte und Resteuropa wartet auf den letzten Vorhang. Wenn das jetzt so weitergeht, fällt der Brexit ins Wasser.



   Tage der Entscheidung in Europa. Noch dunkler als sonst gurgelt das Wasser des Ärmelkanals, noch schroffer sind Dovers Klippen, und drohend steht das alte Diktum Shakespeares im Raume: "Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können." Die Briten halten sich daran und treiben, von allen Selbstzweifeln befreit, ins eisige Meer. Resteuropa hofft, die Reise möge lange dauern, bittet um Gottes Segen für die Fahrt ins Ungewisse und packt noch ein paar Lunchpakete mit Essigchips, Lavendellebkuchen und roten Bohnen ein. Bald werde man die Briten nur noch von hinten sehen, hiess es Anfang der Woche - ein Anblick, den man auch Kindern zumuten könnte. In den Brüsseler Büros übertönen knallende Champagnerkorken das Gemurmel der Beamten, die eine bulgarische Beschlussvorlage zur Besteuerung von landwirtschaftlichen Kleinbetrieben ins finnische übertrugen.

   Doch dann keimten Zweifel an der Entschlusskraft der Briten auf, die auch hier ihrem Hausdichter folgten. "Wenn man nicht weiss, wohin man will, so kommt man am weitesten", schreibt Shakespeare in "Was ihr wollt". "Doch sagt uns endlich, was ihr wollt", deklamierten die Europäer. Berittene Boten brachten Geschenke, Schmeicheleien und Kochrezepte nach London, wurden dort aber umgehend geköpft und, ans Pferd gebunden, zurückgeschickt.

   Im sogenannten Unterhaus nahm das Treiben immer tollere Züge an. Der sogenannte Speaker, ein kleiner Mann im Friseurkittel, wurde wegen seiner verwegenen Krawatten zum Volkshelden. Italiener und Franzosen blickten zaghaft in die eigenen Kleiderkammern und erkannten, dass sie diesem ornamentalen Massaker micht entgegensetzen konnten. Dabei ist im Parlament das Strangulieren des Gegners mit einer Krawatte seit dem 17. Jahrhundert verboten.



   Sonst aber ist das Reglement robust. Unter rhythmischen "Yeahs" drangen Putschisten aus den eigenen Reihen gegen die Premierministerin vor, an deren Teflon-Kostümen aber alle Klingen zersplitterten. Es wurde gepöbelt und gespuckt, man drückte sich gegenseitig die die Finger in die Augen oder riss das Toupet des Kontrahenten in kleine Fetzen. Die TV-Bilder aus dem Unterhaus sind längst nur noch im Darknet erhältlich. In Brüssel schnitt der britische Brexit-Admiral Farage noch abscheulichere Grimassen als sonst und drohte mit der Entsendung der britischen Armada. Kontinentaleuropa zuckte zusammen und renovierte den Atlantikwall.

   Die bittere Erkenntnis bleibt: Man ist den Briten hilflos ausgeliefert. Dabei hätte alles so schön sein können. Nach dem Brexit-Votum war Kommissionschef Juncker so erleichtert, dass er nicht nur alle erreichbaren Frauen, sondern auch auch die Brüsseler Büro-Gummibäume in die Wangen kniff. Paris machte unverzüglich Anstalten, französisch als Hauptamtssprache zu etablieren, Gelbwesten in Booten nach England zu schicken und Froschschenkel-Frikassee als Weltkulturerbe deklarieren zu lassen. Doch seit dieser Woche ist wieder alles offen. "Hoffnung ist ein Jagdhund ohne Spur", schreibt der Dichter. Aber mehr als Hoffnung bleibt jetzt nicht mehr.
 

 

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