In London regiert eine Ornamentkrawatte und
Resteuropa wartet auf den letzten Vorhang. Wenn das jetzt so
weitergeht, fällt der Brexit ins Wasser.

Tage
der Entscheidung in Europa. Noch dunkler als sonst gurgelt das
Wasser des Ärmelkanals, noch schroffer sind Dovers Klippen,
und drohend steht das alte Diktum Shakespeares im Raume: "Zweifel
sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können."
Die Briten halten sich daran und treiben, von allen Selbstzweifeln
befreit, ins eisige Meer. Resteuropa hofft, die Reise möge lange
dauern, bittet um Gottes Segen für die Fahrt ins Ungewisse und
packt noch ein paar Lunchpakete mit Essigchips, Lavendellebkuchen
und roten Bohnen ein. Bald werde man die Briten nur noch von
hinten sehen, hiess es Anfang der Woche - ein Anblick, den man
auch Kindern zumuten könnte. In den Brüsseler Büros übertönen
knallende Champagnerkorken das Gemurmel der Beamten, die eine
bulgarische Beschlussvorlage zur Besteuerung von landwirtschaftlichen
Kleinbetrieben ins finnische übertrugen.
Doch
dann keimten Zweifel an der Entschlusskraft der Briten auf,
die auch hier ihrem Hausdichter folgten. "Wenn man nicht
weiss, wohin man will, so kommt man am weitesten", schreibt
Shakespeare in "Was ihr wollt". "Doch sagt uns
endlich, was ihr wollt", deklamierten die Europäer. Berittene
Boten brachten Geschenke, Schmeicheleien und Kochrezepte nach
London, wurden dort aber umgehend geköpft und, ans Pferd gebunden,
zurückgeschickt.
Im sogenannten Unterhaus
nahm das Treiben immer tollere Züge an. Der sogenannte Speaker,
ein kleiner Mann im Friseurkittel, wurde wegen seiner verwegenen
Krawatten zum Volkshelden. Italiener und Franzosen blickten
zaghaft in die eigenen Kleiderkammern und erkannten, dass sie
diesem ornamentalen Massaker micht entgegensetzen konnten. Dabei
ist im Parlament das Strangulieren des Gegners mit einer Krawatte
seit dem 17. Jahrhundert verboten.

Sonst
aber ist das Reglement robust. Unter rhythmischen "Yeahs"
drangen Putschisten aus den eigenen Reihen gegen die Premierministerin
vor, an deren Teflon-Kostümen aber alle Klingen zersplitterten.
Es wurde gepöbelt und gespuckt, man drückte sich gegenseitig
die die Finger in die Augen oder riss das Toupet des Kontrahenten
in kleine Fetzen. Die TV-Bilder aus dem Unterhaus sind längst
nur noch im Darknet erhältlich. In Brüssel schnitt der britische
Brexit-Admiral Farage noch abscheulichere Grimassen als sonst
und drohte mit der Entsendung der britischen Armada. Kontinentaleuropa
zuckte zusammen und renovierte den Atlantikwall.
Die
bittere Erkenntnis bleibt: Man ist den Briten hilflos ausgeliefert.
Dabei hätte alles so schön sein können. Nach dem Brexit-Votum
war Kommissionschef Juncker so erleichtert, dass er nicht nur
alle erreichbaren Frauen, sondern auch auch die Brüsseler Büro-Gummibäume
in die Wangen kniff. Paris machte unverzüglich Anstalten, französisch
als Hauptamtssprache zu etablieren, Gelbwesten in Booten nach
England zu schicken und Froschschenkel-Frikassee als Weltkulturerbe
deklarieren zu lassen. Doch seit dieser Woche ist wieder alles
offen. "Hoffnung ist ein Jagdhund ohne Spur", schreibt
der Dichter. Aber mehr als Hoffnung bleibt jetzt nicht mehr.
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