Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (02. Dezember 2018)
 
Altmaiers Funkschatten
 

   Erst das Weihnachtsgeld, dann die Digitalisierungsoffensive, Deutschland gibt Vollgas. Da kann einem schwindelig werden. Und analog war's ja auch irgendwie schön.



   In dieser Woche schnaufte das Land einmal tief durch. In den Betrieben gab es einen Dankgottesdienst, eine kleine Polonaise auf allen vieren oder einen Umtrunk, bei dem der Hausmeister dem verdienten Kollegen zusammengerollte Banknoten in Nase und Ohr steckte. Die Untergebenen torkelten nach Hause und stopften ihr Weihnachtsgeld in jenes riesige Loch, das der sogenannte Black Friday in die Haushaltskasse gerissen hatte. Dieser Tag und das folgende Wochenende haben im Kirchenjahr als Epiphania deductionae, also als rabattierte Offenbarung ihren festen Platz.

   Bevor die Glastüren der Elektronikmärkte und Kaufhäuser von den Gläubigen zertrümmert werden, spielt man Samsong, ein asiatisches Brettspiel, bei dem man dem Gegner solange den Finger in die Augen bohrt, bis ihm schwarz vor den Augen wird (deshalb Black Friday) und er den Weg zum ersehnten Produkt freigibt.

   Die Regierung hatte ebenfalls eingekauft. Wirtschaftsminister Altmaier etwa, der das deutsche Handynetz zuvor noch als peinlich kritisierte, erwarb einen Bagger, einige WLAN-Repeater und mehrere 5G-Beschleunigungstreibsätze mit Glasfaserkartusche. Damit beginnt jetzt endlich die seit dem Jahr 1944 geplante Digitalisierungsoffensive in Deutschland. Zunächst wurde Altmaiers eigener gewaltiger Funkschatten überbrückt - damit kann Berlin erstmals seit dem Einrücken der Roten Armee wieder Verbindung mit allen Teilen des Landes aufnehmen. Testläufe mit dem neuen 5G-Handynetz, wobei draussen auf dem Land herumstehende Milchkannen als Funkantennen getestet wurden, wurden schleunigst abgebrochen, da hierbei an Bord der Bundeskanzlermaschine "Konrad Adenauer" das gesamte Kommunikationsnetz zusammenbrach und die Bundesregierung ihren Kontakt zur Bevölkerung verlor.

   Es bot sich das erwartete Bild einer zukunftsfesten technologischen Führungsmacht. In vielen Schulen des Landes werden Tablet-Computer benutzt, um Löcher in den Decken abzudichten, die neu gelieferten Röhrenbildschirme dienen nun im Biologieunterricht als Lehr-Aquarien. Auf dem Pausenhof wird Hash und Tag gespielt, der Gewinner erhält einen Platz in der Nähe des Münzfernsprechers. Damit nicht genug: Man habe zwar keine Glasfaser, aber noch Kupferdraht aus Nachkriegsbeständen, mit dem man die bewährten, aber etwas brüchigen Overheadprojektoren zusammenbinden könne. Zudem solle bald das abgasarme Euro-3-Netz verfügbar sein, bei dem man lediglich zweimal an einer Kurbel drehen müsse, um ein Datenvolumen von 230 Gramm am Stück zu übermitteln.



   Vielen Pädagogen geht das alles zu schnell. Ein Zuviel an digitaler Kommunikation sei der Gesellschaft nicht zuträglich, heisst es. Das friedliche, selbstgenügsame Nebeneinanderherleben der Deutschen sei in Gefahr. Aus jeder Mücke werde da ein Kommuniaktions-Elefant, harmonische Tristesse werde einem blindwütigen Hedonismus geopfert, rammdösige Schüler würden zu digitalen Bildungssklaven und die bisher schweigende Mehrheit feiere die digitale Verstärkung der eigenen Dummheit.

   Altmaier beruhigte: Wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohten, werde er sich persönlich jeden Abend ab 18:30 Uhr auf den zentralen Verbindungsknoten in Berlin setzen und die digitale Kommunikation im Land zum Erliegen bringen. Die Bürger könnten dann wieder fernsehen, sich lieben, schweigen oder in den Garten gehen - oder sich das Weihnachtsgeld analog in die Nase stopfen lassen.
 

 

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