Diese Woche schien es den
Deutschen, als stünde ein zweiter Mond am Himmel. Eine runde
Erscheinung tunkte nachts die Schlafzimmer, Balkone und Nebenstrassen
in mildes Licht und beschien Liebende, Schlaflose und jene,
die trunken den Schlüssel ihrer Wohnungstür suchten. Die geisterhafte
Erscheinung war nichts anderes als das Gesicht des deutschen
Astronauten Alexander Gerst, der aus Tausenden Kilometer Höhe
auf die Erde herabblickte und dort eine Sehnsucht nach Frieden
jenseits des Alltags der überfüllten U-Bahn, den tiefgründig
rumpelnden Tunnelbohrmaschinen von Stuttgart21, der tollwütig
herumtreibenden Kinder und des Lärms der Rasenkantenschneider
verströmte.
Dabei wäre seine Mission
fast gescheitert. Als seine Kapsel an der ISS-Raumstation angedockt
war, fand Gerst beim Herumkramen in seiner Tasche den Schlüssel
zur Eingangstür nicht. Er hatte ihn offenbar im Kontrollzentrum
auf der Kommode links neben der Toilette liegen lassen. Erst
der eilends herbeigerufene Schlüsselnotdienst löste das Problem
zum Festpreis von 365 672 Euro.

Nun
führt Gerst mit Eleganz und Präzision seine Experimente im All
aus. Er sortiert und trennt Weltraumschrott, züchtet Vielfruchtpalmen,
die kein Wasser brauchen, und wird wegen seiner Mischung aus
Herzlichkeit und Virilität zum begehrtesten Mann Europas, wenn
nicht der ganzen Welt. Die ihm entgegengebrachte Bewunderung
ist - das Wortspiel sei gestattet - galaktisch. Der Wagemut,
in eine gebrauchte Kapsel russischer Bauart ohne TÜV-Plakette
zu steigen. Die Fähigkeit, mit dicken Raumhandschuhen Twittermeldungen
abzusetzen. Die Ausdauer, mehrere Tage still zu sitzen. Sein
Spitzname "Astro-Alex" dürfte zum beliebtesten Vorname
bei Neugeborenen avancieren - noch vor Finn-Maximilian, Emma-Charlotte,
Svenja-Leonie und Luca-Leon.
Offen
ist, ob es auch die Vornamen Kim Jong, Jong-un oder Rocketman
in die Beliebtheitslisten schaffen werden. Es wäre nicht verwunderlich,
denn der Nordkoreaner verwandelte sich unter dem Einfluss des
deutschen Mondes diese Woche von einem sardonischen Bösewicht
in ein "mariniertes Sesamblatt der irdischen Sanftmut"
- eine Spezialität, die auf der nordkoreanischen Reistafel für
den himmlischen Frieden zuständig ist. Auch sein Gesprächspartner
hatte für das gemeinsame Bankett die europäische Schlachtplatte
beseite geräumt und twitterte mit der Leichtigkeit eines koreanischen
Mandschurenkranichs entzückende Komplimente in Richtung Pjöngjang.

Wenn
Gerst so weitermacht, werden auch russische Hooligans bei der
WM zu Hohepriester der Nächstenliebe. Politiker erwägen deshalb,
die Welt dauerhaft in den Zustand der Schwerelosigkeit zu versetzen
und Hunderte von lächelnden Astronauten ein paar Fuss hoch über
jeder Unruheregion schweben zu lassen. Entsprechende Experimente
auf der ISS seien auf guten Wege.
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