Die Glühweinkessel der Weihnachtsbuden
erkalten, das Christkindl, im Hauptberuf Dessous-Model, summt
die Melodie von "Last Christmas", der Nachhall der
Ansprache des Bundespräsidenten überdeckt die orientierungslose
Stille. Der Einzelhandel schwelgt in apokalyptischen Szenarien,
weil sich einzelne Renegaten nicht in der von der Heiligen Schrift
vorgesehenen Weise zu ihrer Huldigungstour an die vergoldeten
Krippen leiten liessen, um dort Gold, Weihrauch und ihre Kreditkarte
zu hinterlegen. Im Fernsehen feiert man ein WIedersehen mit
vielen lieb gewonnenen lebenden Toten, die sich unter Palmen,
in Berghütten und bei Tonnen von Kunstschnee entzweien und wieder
in die Arme fallen.

Die
ermatteten Medien vermelden kleinere Weihnachtswunder. Eine
polnische Weihnachtsgans wurde von Aldi begnadigt, ein 12-jähriger
überlebte den ersten Test seines ferngesteuerten Spielzeug-SUV's
auf der A 8, Hunde fanden wieder ein Zuhause, Karrierefrauen
träumten von Rentieren, SPD-Ortsvereine schöpften wieder neuen
Lebensmut.
Der Kampf um die Vorherrschaft
in Europa geht derweil in eine neue Phase. Als Antwort auf den
Regierungs-Weihnachtsbaum in Berlin, der sein gestrenges deutsches
Licht über den Kontinent verbreitet, steckt Frankreich drei
Millionen Kerzen an den Eiffelturm, das Kabinett Marcon trägt
seine prächtigsten Perücken, ein Nachfahre Jean-Baptiste Lullys
komponierte eine Ouvertüre für 345 Violinen und Zuversichtsfanfaren.
Ab
Mitte der Woche verebbte das allgemeine Schluchzen und Wimmern,
der Blick der Menschen wurde wieder klar, die Stimme fest. Berufstätige
suchten heimlich ihre Büros auf, um dem Schein der Kerzen zu
entgehen, und lagen nach dem Lesen der aufgelaufenden Emails
mit leicht geöffneten Mund unter den sterilen Büroleuchten,
derweil ihre Computer die Quartalszahlen und ihre digitalen
Armbänder die aktuellen Cholesterinzahlen errechneten. Die Deutsche
Bahn transportierte Millionen Heimatsuchende quer durchs Land
und brachte das Licht der Gnade in vergessene Orte wie Osnabrück,
Hamm oder Bad Mergentheim.

Auch
auf den Strassen kehrte Ruhe ein, nachdem sich letzten ausgemergelten
Paketboten auf die Ladefläche ihrer ramponierten Kleintransporter
gelegt hatten, um nach 112 Stunden Dauerarbeit unerlaubt drei
Stunden auszuruhen. Der Mond blickte aus mausgrauer Düsternis
mitleidig auf auf das verebbende Weihnachtsgetöse und liess
aus Jux und Dollerei einige ICEs mit Heimkehrern im Niemandsland
stranden. Bis Dreikönige dürfte Deutschland endgültig entnadelt
sein.
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