Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (31. Dezember 2017)
 
Rentiere und Perücken
 

   Die Glühweinkessel der Weihnachtsbuden erkalten, das Christkindl, im Hauptberuf Dessous-Model, summt die Melodie von "Last Christmas", der Nachhall der Ansprache des Bundespräsidenten überdeckt die orientierungslose Stille. Der Einzelhandel schwelgt in apokalyptischen Szenarien, weil sich einzelne Renegaten nicht in der von der Heiligen Schrift vorgesehenen Weise zu ihrer Huldigungstour an die vergoldeten Krippen leiten liessen, um dort Gold, Weihrauch und ihre Kreditkarte zu hinterlegen. Im Fernsehen feiert man ein WIedersehen mit vielen lieb gewonnenen lebenden Toten, die sich unter Palmen, in Berghütten und bei Tonnen von Kunstschnee entzweien und wieder in die Arme fallen.



   Die ermatteten Medien vermelden kleinere Weihnachtswunder. Eine polnische Weihnachtsgans wurde von Aldi begnadigt, ein 12-jähriger überlebte den ersten Test seines ferngesteuerten Spielzeug-SUV's auf der A 8, Hunde fanden wieder ein Zuhause, Karrierefrauen träumten von Rentieren, SPD-Ortsvereine schöpften wieder neuen Lebensmut.

   Der Kampf um die Vorherrschaft in Europa geht derweil in eine neue Phase. Als Antwort auf den Regierungs-Weihnachtsbaum in Berlin, der sein gestrenges deutsches Licht über den Kontinent verbreitet, steckt Frankreich drei Millionen Kerzen an den Eiffelturm, das Kabinett Marcon trägt seine prächtigsten Perücken, ein Nachfahre Jean-Baptiste Lullys komponierte eine Ouvertüre für 345 Violinen und Zuversichtsfanfaren.

   Ab Mitte der Woche verebbte das allgemeine Schluchzen und Wimmern, der Blick der Menschen wurde wieder klar, die Stimme fest. Berufstätige suchten heimlich ihre Büros auf, um dem Schein der Kerzen zu entgehen, und lagen nach dem Lesen der aufgelaufenden Emails mit leicht geöffneten Mund unter den sterilen Büroleuchten, derweil ihre Computer die Quartalszahlen und ihre digitalen Armbänder die aktuellen Cholesterinzahlen errechneten. Die Deutsche Bahn transportierte Millionen Heimatsuchende quer durchs Land und brachte das Licht der Gnade in vergessene Orte wie Osnabrück, Hamm oder Bad Mergentheim.



   Auch auf den Strassen kehrte Ruhe ein, nachdem sich letzten ausgemergelten Paketboten auf die Ladefläche ihrer ramponierten Kleintransporter gelegt hatten, um nach 112 Stunden Dauerarbeit unerlaubt drei Stunden auszuruhen. Der Mond blickte aus mausgrauer Düsternis mitleidig auf auf das verebbende Weihnachtsgetöse und liess aus Jux und Dollerei einige ICEs mit Heimkehrern im Niemandsland stranden. Bis Dreikönige dürfte Deutschland endgültig entnadelt sein.
 

 

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