Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (03. Dezember 2017)
 
Fünf Tage und der Bart der Republik
 

   In Berlin-Mitte sitzt ein melancholischer Fünftagebart und starrt in seinen mit Zimtflocken angereicherten Single Origin Espresso. Das Licht der Deckenlampen vergrössern sein Profil ins Riesenhafte. Er könnte zufrieden sein. Wochenlang hat der die Republik in Atem gehalten, hat gepokert, geblufft und am Ende alles auf den Spieltisch geworfen. Er hat vertrautes verächtlich gemacht, Konventionen zertrümmert und Politik als Drama inszeniert. Mit seinem verchromten Tablet wehrte er den Handkantenschlag von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ab, die Geschenke von Angela Merkel (darunter ein Emailletopf mit handgerührter Kartoffelsuppe) liess er ungeöffnet zurückgehen, aus der Umarmung Claudia Roths, die ihn zu ersticken drohte, wand er sich in letzter Sekunde heraus.



   Seitdem ist der Dreitagebart das ikonografische Anlitz der Republik. Millionen Fans laden sich Bärte aus dem Internet herunter, quetschen sich in Ultra-Slim-Anzüge und bestellen mit schneidender Stimme ein laktosefreies Müsli in der Cafébar. Er könnte mühelos 600 Selfies mit seinen Anhängern am Tage verbreiten, vollbärtige Irgendwasgründer exegieren seine selbst geschriebene Biografie ("Fünf Tage, die die Welt erschütterten"). Sein Youtube-Kanal wird milliardenfach aufgerufen - vor allen jenes Video, in dem er weit ausholendes Schrittes Richtung Reichstag läuft, in sein Smartphone tippt, worauf sich Risse in der Glaskuppel zeigen, das Gebäude in den Grundfesten wankt und die Flaggen erschöpft auf halbmast sinken.

   Was hatte man ihm alles versprochen, wenn er sein Werk der schöpferischen Zerstörung stoppt! Einen nach ihm benannten Flughafen, einen liberalen Katechismus für alle Gymnasialklassen, ein Schlankheitsministerium, unter dessen sich das Land in eine digitale baltische Republik verwandelt hätte. Privatisierung von Autobahnen, Geburtskliniken, Zebrastreifen, Ampeln, Socken und Haustiere, Steuerbefreiung für den letzten Drink in der Hotelbar, Glasfasern bis unters letzte Kopfkissen, Einführung eines binären Einmaleins an Kitas, eine Sektions-Start-up-Show im Staatsfernsehen. Er schlug alle Angebote aus - das Land würde ihm auch so in den Schoss fallen.



   Und doch blieben Zweifel. Das Volk, jene wankelmütige rückwärtsgewandte Masse von Lemmingen - wird sie seiner Vision folgen? Da draussen gebe es, so berichteten seine Vertrauten, immer noch Menschen, die lächelnd auf ihren Wohlstandsbauch blicken, sich auf schamlose Weise vom Sozialstaat mästen lassen und sich mit ihren Partnern in einer emotionellen Transferunion einhausen, statt Anreize nach draussen zu geben. Der Fünftagebart blickt angewidert auf seine makellosen Fingernägel. Nun gut, sollen sie doch sehen ... Zur Not bleibt immer noch der Hinterausgang. Dort, an der Toilette vorbei, dann rechts.

 

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