Diese Woche flogen die letzten
Air-Berlin-Flieger über Deutschland hinweg. Innen herrschte
die vertraute Mischung aus Jugendherbergs-Romantik und erzwungener
Intimität. Heisser Kaffee ergoss sich auf frisch gebügelte Blusen,
Verpflegungscontainer rumpelten über die Füsse der Passagiere,
von denen der eine oder andere den Finger der reizenden Austauschschüler
aus Portugal in der Nase hatte.

Sie
überflogen ein Land, das noch in den Nachwehen der Bundestagswahl
lag. Rund 75 000 Abgeordnete sitzen im neuen Parlament - alle
in der klassischen Air-Berlin-Viererreihe mit Beinpresse. Die
Überhangmandate der neuen Rechtspartei wurden in einer neu eingezogenen
Zwischendecke untergebracht. Dort ist es angenehm dunkel, man
bleibt unter sich und schreckt nur auf, wenn das Smartphone
des Nebenmanns den Klingelton "Kamerad, die Schicksalsstunde
schlägt" intoniert.
Draussen wälzten
sich wie in jedem Jahr Hunderttausende von Kürbissen, die sich
als Kinder verkleidet hatten, durch die Strassen und entliessen
aus ihren verschimmelten Hohlräumen Klagegesänge aus Wollust
und Lakritze. Das alles hat eine uralte Tradition. Bereits im
Mittelalter schnitzten die Menschen schauerliche Physiognomien
in das hartschalige Gemüse, weil die Zutaten für eine frisch
aufgeschlagene Madras-Ingwer-Curry-Suppenvariation erst später
nach Europa kamen. Die Fratzen machten rasch Karriere als Papst
oder Hof-Astrologe.

Diese
Tradition flackerte in Berlin wieder auf, als der geisterhaft
beleuchtete SPD-Chefkürbis in der Parlamentarischen Gesellschaft
erschien - mit ihm der Eishauch schlechter Umfragen und verlorener
Wahlkreise. "Wirwar, wuria, Mäusedreck - einmal umdrehen
und du bist weg!", schrien die Teilnehmer der Jamaika-Gespräche
und warfen mit Resten des Büffets nach dem Untoten.
Dann
wurde weiter über Arbeit, Gesundheit, Pflege, Soziales sowie
Familie, Senioren, Jugend verhandelt. Die Stimmung sei konstruktiv,
hiess es. Beispielsweise Arbeit: "Muss ja, also ... genau,
und wer nicht ... soll auch nicht ..." Rente: "Ist
grundsätzlich sicher ... aber klar: Riesenlücke. Muss jeder
selbst ..." Gesundheit: "Ist eh das Wichtigste. Und
immer viel Brokkoli essen!" Pflege: "Anreize setzen!
Wer pflegt, kriegt einen Kino-Gutschein und einen Parkplatz
vor dem Seniorenheim." Soziales: "Haben wir. Aber
nicht übertreiben!"

Endgültig
gebrochen waren Zank und Müdigkeit, als Cem "Bubblehash"
Özedemir den Rauch der ersten legalen Cannabis-Pfeife in den
Berliner November entliess. Vor dem schimmernden Augen der Verhandler
stiegen Bilder einer Heimat aus grünen Wiesen, leeren Autobahnen
und laktosefreien Familien auf. Nur dieser Kürbiskopf wollte
einfach nicht verschwinden.
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