Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. November 2017)
 
Brokkoli und Cannabis
 

   Diese Woche flogen die letzten Air-Berlin-Flieger über Deutschland hinweg. Innen herrschte die vertraute Mischung aus Jugendherbergs-Romantik und erzwungener Intimität. Heisser Kaffee ergoss sich auf frisch gebügelte Blusen, Verpflegungscontainer rumpelten über die Füsse der Passagiere, von denen der eine oder andere den Finger der reizenden Austauschschüler aus Portugal in der Nase hatte.



   Sie überflogen ein Land, das noch in den Nachwehen der Bundestagswahl lag. Rund 75 000 Abgeordnete sitzen im neuen Parlament - alle in der klassischen Air-Berlin-Viererreihe mit Beinpresse. Die Überhangmandate der neuen Rechtspartei wurden in einer neu eingezogenen Zwischendecke untergebracht. Dort ist es angenehm dunkel, man bleibt unter sich und schreckt nur auf, wenn das Smartphone des Nebenmanns den Klingelton "Kamerad, die Schicksalsstunde schlägt" intoniert.

   Draussen wälzten sich wie in jedem Jahr Hunderttausende von Kürbissen, die sich als Kinder verkleidet hatten, durch die Strassen und entliessen aus ihren verschimmelten Hohlräumen Klagegesänge aus Wollust und Lakritze. Das alles hat eine uralte Tradition. Bereits im Mittelalter schnitzten die Menschen schauerliche Physiognomien in das hartschalige Gemüse, weil die Zutaten für eine frisch aufgeschlagene Madras-Ingwer-Curry-Suppenvariation erst später nach Europa kamen. Die Fratzen machten rasch Karriere als Papst oder Hof-Astrologe.



   Diese Tradition flackerte in Berlin wieder auf, als der geisterhaft beleuchtete SPD-Chefkürbis  in der Parlamentarischen Gesellschaft erschien - mit ihm der Eishauch schlechter Umfragen und verlorener Wahlkreise. "Wirwar, wuria, Mäusedreck - einmal umdrehen  und du bist weg!", schrien die Teilnehmer der Jamaika-Gespräche und warfen mit Resten des Büffets nach dem Untoten.

   Dann wurde weiter über Arbeit, Gesundheit, Pflege, Soziales sowie Familie, Senioren, Jugend verhandelt. Die Stimmung sei konstruktiv, hiess es. Beispielsweise Arbeit: "Muss ja, also ... genau, und wer nicht ... soll auch nicht ..." Rente: "Ist grundsätzlich sicher ... aber klar: Riesenlücke. Muss jeder selbst ..." Gesundheit: "Ist eh das Wichtigste. Und immer viel Brokkoli essen!" Pflege: "Anreize setzen! Wer pflegt, kriegt einen Kino-Gutschein und einen Parkplatz vor dem Seniorenheim." Soziales: "Haben wir. Aber nicht übertreiben!"



   Endgültig gebrochen waren Zank und Müdigkeit, als Cem "Bubblehash" Özedemir den Rauch der ersten legalen Cannabis-Pfeife in den Berliner November entliess. Vor dem schimmernden Augen der Verhandler stiegen Bilder einer Heimat aus grünen Wiesen, leeren Autobahnen und laktosefreien Familien auf. Nur dieser Kürbiskopf wollte einfach nicht verschwinden.

 

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