Diese Woche vollzog sich
wieder jenes traditionsbewehrte Spektakel, das heiligen Ernst
mit lässiger Moderne versöhnt und zum beginnenden Herbst gehört
wie die vollen Backen der Vorratshaltung betreibender Eichhörnchen.
Frühmorgens eröffneten sich die Türen der Einfamilienhäuser
und Etagenwohnungen, bleiche Gesichter blinzelten in den Nieselregen,
wortkarge Gestalten im Büssergewand von H&M und Zara schulterten
Tonnen von Algebra und Latein, stopften Elektronen. Protonen
und hundertjährige Kriege in die Rucksäcke und bewegten sich
schleppendes Schrittes in Richtung der Bildungsinstitutionen.

Der
Schulbeginn in Deutschland ist eine Prozession, an deren Ende
nicht die Erlösung von Sünde und Krankheit steht, sondern die
vertraute Labsal des Dösens, Durchkauens, Wiederentlassens und
Whatsappens. Untermalt wird das alles vom Knarzen der vernarbten
Stühle und dem nervenzerfetzenden Quietschen der Kreide auf
einer Schiefertafel - Geräusche, die kein digitaler Bildungsplan
jemals verdrängen wird.
Natürlich gehören
Deutschlands Schulen zu den besten und schönsten der Welt -
und doch gibt es da eine schwärende Wunde. Zwergstaaten wie
Finnland landen in den Vergleichsstudien allzu oft vor uns.
Dabei weiss niemand, was man da oben anders oder gar besser
macht. Finnische Schüler, die unter einem Vorwand nach Deutschland
gelockt und aufs Genaueste vermessen wurden, wiesen keine Auffälligkeiten
in Bezug auf ihre Gehirngrösse auf. Bei der Lektüre von Max
Frischs "Montauk" oder Hölderlins "Hyperion"
schliefen sie exakt an der gleichen Stelle ein, wie ihre deutschen
Leidensgenossen. Doch die Industrie lässt nicht locker. Es könne
nicht sein, dass Finnland, wo man nicht einmal Autos baue, bessere
Schüler produziere als Deutschland. Helsinki müsse endlich fallen,
heisst es. Im eskalierenden Wahlkampf kündigten die Parteien
Milliarden für eine Bildungsoffensive an. Experten sprechen
von einem Unternehmen Barbarossa der Schulpolitik.

Auf
die deutschen Schüler kommen deshalb harte Zeiten zu. Künftig
wird jeder von ihnen von vier Lehrkräften betreut, sein Schulranzen
wird digitalisiert. Tablets sind obligatorisch, Tabletten bei
aufkeimender Unlust, Angst oder Depressionen ebenfalls. Allerdings
zeigten sie sich zunächst unbeeindruckt und verfielen rasch
in den Zustand der Halbwachheit, mit dem sie auch die vorangegangenen
Schuljahre elegant bewältigt hatten.
Ansonsten
war alles wie immer. Die Schulen brummten, der Lehrbetrieb rumpelte,
Fliegen summten in den stickigen Klassenzimmern, Kondenswasser
tropfte aus den porösen Decken. Die Politik lächelte zufrieden
und wandte sich am Ende der Woche wieder anderen Themen zu.
Finnland
ist noch einmal davongekommen.
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