Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (30. April 2017)
 
Erst wenn der letzte Duftbaum gerodet ist
 

   Eine Forscherin und passionierte Hobbyimkerin aus Spanien hat - es war wohl reiner Zufall - eine Raupenart entdeckt, die mit Vorliebe Plastik vertilgt. Kaum war die Neuigkeit auf dem Wochenmarkt der Nachrichten frisch eingetroffen, da frass sich durch die Gehirnwindungen unserer klügsten Köpfe ein ökologisch wie ökonomisch reizvoller Gedanke, schneller, als die gierigste Fresslarve Aldi-Tüten verdrücken kann: Sollten wir die Tiere nicht auf unsere mit Plastikmüll gefluteten Weltmeere loslassen?



   Zugegeben, im ersten Moment eine verlockene Vorstellung, wiewohl die Älteren unter uns die ganze Aufregung um die in den Ozeanen treibenden Plastikteile nicht so recht verstehen. Immerhin bestand in den besten TV-Inszenierungen der Augsburger Puppenkiste ("Urmel aus dem Eis", "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer") die hohe See aus nichts anderem als aus einer dauergewellten Plastikfolie.

   Aber gut, wenn man nach einem ausgiebigen Sonnenbad an einem mediteranen Strand Abkühlung im salzigen Nass sucht und sich in einem Meer von Polymeren wiederfindet, ist das nicht schön. Insofern wäre es schon schick, wenn die Raupen sich über den Dreck hermachen könnten. Doch was, wenn die Meere irgendwann leergefischt sind und sich die Raupen dabei prächtig vermehrt hätten? Wer sagt uns dann, dass die Viecher nicht buchsbaumzünslergleich über den Rest der Welt herfallen?

   Ich nehme an, Sie halten momentan ein Papierprodukt in den Händen, den die Plastikfresserraupe Nimmersatt nichts anhaben kann. Aber was ist mit mir, der ich auf eine Tastatur einhacke, deren Verkleidung und Knöpfe aus reinstem Kunststoff bestehen? Unter uns gesagt, mir wäre Elfenbein auch lieber, aber das kann man weder einem Chefredakteur noch einem Controller und schon gar nicht dem Betriebsrat verklickern.



   Aber selbst wenn die vollgefressenen Raupen nimmer aus dem Wasser kämen, für unsereins wäre das Meer ein für alle Mal tabu, hat man sich doch für reichlich Kohle die Amalgamplompen herausnehmen und durch Füllungen aus Kunststoff ersetzen lassen. Man kann über die Belgier sagen was man will, aber sie haben in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereits begriffen, was die Welt im Innern zusammenhält: Sie kreierten den Popstar Plastic Bertrand.

   Seit man aber hierzulande beim Einkauf eines Pelzmantels für die Plastiktüte extra zahlen muss, sollte auch den Unsensibelsten unter uns aufgegangen sein, mit welchen Schätzen wir uns umgeben. Man sollte die Welt der Kunststoffe und Künstlichkeit nicht vorschnell zum Teufel wünschen, sondern eine alte Indianer-Weisheit beherzigen: "Erst wenn der letzte Duftbaum gerodet ist, werdet ihr feststellen, dass man auch mit Platikbesteck essen kann."

 

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