Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. Dezember 2016)
 
Ein Wintermärchen
 

   Weihnachtszeit ist Märchenzeit. Wenn die Tage dunkler werden und der Welten Wahnsinn Millionen Herzen mit glitzernden Raureif überzieht, versprechen aufgeregte Regierungswichtel staunenden Bürgern, dass in diesem Schlaraffenland alle sicher seien und am Ende das Gute stets über dem Bösen siege. Auf Geheiss einer Hexe des Ostens kuscheln sich AfD-Kobolde auf öffentlichen Plätzen aneinander und flüstern sich die Schauergeschichte von der bösen Schneekönigin Angela zu, die - wenn sie nicht gerade in ihrem Berliner Lügenschloss mit den hundert kalten Sälen hause - mit ihrer frostigen Schönheit vielen Gutmenschen Eissplitter in die Augen jage, um sie um den Verstand zu bringen.

   Deutschland zittert wie Espenlaub. Auf dem Gabentisch der Populisten liegen Bestseller der Angstliteratur wie "Harry Schlotter und die verwunschenen Kindsköpfe" oder auch arabische Schreckensmärchen der Brüder Schlimm. Eltern verzählen den Kleinen Geschichten vom Weihnachtsmann, der angeblich an Heiligabend allen braven und fleissigen Kindern Geschenke vorbeibringen würden, was ungefähr so glaubwürdig ist wie ein Schwur von Pinocchio oder eine Meldung in einem unsozialen Netzwerk wie Fakebook, was vor langer, langer Zeit unter dem Namen Facebook die verführerische Legende von der demokratischen Teilhabe aller verbreitete.



   Wer die verrussten Passagen im Leiblingsmärchenbuch der Grossen Koalition mit dem unheimlichen Titel "Armutsbericht" frei pustet und dreimal über den letzten Kontoauszug spuckt, weiss aber: Der Weihnachtsmann besucht auch in diesem Jahr wieder nur die reichen Kinder, deren Eltern Geld wie Heu haben. Die armen meidet der dicke Mann wie der Teufel das Weihwasser oder Donald Trump alias Mister Gold die Wahrheit.

   Ach, wie gut, dass niemand weiss, dass ich Trumpelstilzchen heiss. Nur: Wen interessiert's? Namen sind Schall und Rauch, zumindestens in Europa. Kein Wunder also, dass ein Märchenonkel der CSU fordert, Figuren, die sich an den Grenzen unseres Bewusstseins nicht eindeutig ausweisen können, dort so lange festzuhalten, bis ihre Identität zweifelsfrei geklärt sei. Ein Albtraum für alle Feen, Einhörner, Stiefmütter und Froschkönige, die auf ihrer Flucht aus der grausamen Realität ihre Papiere verloren haben.



   Im postfaktischen Wintermärchen spinnen wir Stroh zu Gold und verkaufen unsere Seelen dem Erstbesten. Wir kauern in unbezahlten Lebkuchenhäuschen. Und warten sehnsüchtig auf ein letztes Paket von Amazon wie Dornröschen auf den Prinzen, der sich verspätet, weil er bei Tinder noch eine andere Schwester datet, die nicht halb so prinzessinnenhaft ausschaut wie ihr aufgehübschtes Profilfoto. Nichts stimmt mehr. Oder wie der sagenhafte Herbert Wehner zu sagen pflegte: Alles Mummpitz!

 

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