Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (04. Dezember 2016)
 
Krachende Besinnlichkeit
 

   Man sieht kaum die Hand vor Augen, feintröpfiger Nebel lässt Konturen verschwimmen. Auf der Zunge liegt ein Belag aus Industrie-Kardamom, Zimterotik und bulgarischer Frühlese. Deutschland hüllt sich in dicke Socken, die Töchter Zion irrlichtern als Goldengel durch den Budenzauber der Innenstädte und machen Werbung für Dessous. Betonfest gebrannte Mandeln zertrümmern Zahnimplantate im Gegenwert des griechischen Bruttosozialbrodukts. Die Adventsbesinnlichkeit spitzt sich zu.



   Eigentlich eine politisch neutrale Veranstaltung, werden die Weihnachtsmärkte zwischen Straubing und Braunschweig in diesem Jahr klar von der SPD dominiert. Seit bekannt ist, dass die alte Arbeiterpartei ihr Führungspersonal nur noch bis zum Jahresende vermietet, reissen sich die Veranstalter um sozialdemokratische Weihnachtsmänner, um gnadenspendene Familienministerinnen, pastorale Aussenminister und die drei Weisen aus dem Morgenland des SPD-Ortsvereins Erkenschwick.

   Sie alle bollern um mit den Ellenbogen durch das Gewühl, spenden Trost, heilen Kranke und erhöhen die Rente. Tränen der Rührung tropfen auf Lebkuchen, sogar die toten Pelztiere auf den Schultern ergrauter Damen zwingen sich zu einem letzten Lächeln. Draussen mögen Hass und Terror toben - hier zwischen Esskastanien, gross wie Eierhandgranaten, und der lebenden Krippe herrscht krachende Besinnlichkeit. Weihnachtsmärkte gehören zum Jahresablauf wie die rituelle Montage der Winterreifen oder die allfälligen Betriebsweihnachtsfeier. Dort umarmen sich wieder Betriebsnudel und Aussendienstler, duzen sich Azubi und Chefsekretärin, werden die letzten Getränke vor dem Hinausinsfreietorkeln auf dem Kopf stehend in den Körper geschüttet.

   Angesichts der kerzenverklärten Heiterkeit werfen Journalisten und Soziologen die Frage auf, warum es in Deutschland nicht immer so schön sein kann wie in der Vorweihnachtszeit. Studien zufolge ist die Liebesbedürftigkeit der Deutschen angesichts der globalen Dystrophie so gross, dass viele in unbeobachteten Momenten ein Glühweinfass umarmen oder zwölf CDs mit Blockflötenmusik aus dem Erzgebirge kaufen.



   Die Politik erwägt deshalb, Verkäufer von Wollsocken, Zipfelmützen und Kittelschürzen von der Steuer zu befreien, Grundzüge des Choralsingens in den Schulen als Pflichtfach einzuführen und Migranten zum Schnitzen von Servierbrettern zu zwingen. Der deutsche Weihnachtsmarkt soll zehn Monate lang dauern und die Botschaft kandisgezuckerter Idylle an die Trumps, Putins oder Kims weiterzureichen. Helene Fischer wird UN-Weihnachts-Sonderbotschafterin, Herz und Klima erwärmen sich - nur im August gibt es eine kurze Unterbrechung, um die Glühweinfässer aufzufüllen.

 

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