Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (09. Oktober 2016)
 
Nach dem Brüllen wird es still
 

   Die ganze Woche über bebte und zitterte Deutschland unter den Nachbeben der grossen Volksfeste. Noch einmal entflammt das Gemüt in einer barocken himmelstürmenden Seligkeit, einem kollektiven Abfluss aufgestauter Körpersäfte und einem vielstimmigen Chor aus schlingerndem Mutterdeutsch und Stimmungsliedgut. Es krachten die Lederhosen, es glänzte der Schweiss der Viskose-Dirndl - wahre Balkone des kontrollierten Leichtsinns -, es drohten die Bierzelte, jene Kathedralen der Trunkenheit, aus ihren festen Nähten zu platzen. Doch jetzt, nach Wochen der Ausschweifungen, geht mit einem gewaltigen eruptischen Rülpser alles zu Ende. Die grossen Volksbelustigungen auf deutschen Wiesen und Wasen schickten noch einmal Schweiss, Tränen und Dunst in die Atmosphäre, nun verschwinden Karohemd und Lederzeug und mit ihnen auch der ganze Abraum des mehrwöchigen Bacchanals in der grossen Wäschetonne der Läuterung.



   Deutschland lacht dröhnend, haut sich auf die Schultern, und wer glaubt, wir Deutschen könnten garnicht feiern, dem sagen wir ... und ob. Jawohl. Das musste mal. Und überhaupt. Haben wir es allen gezeigt! Der Terrorismus, der schwarze Schrecken der westlichen Welt, war am Ende nur ein belachter Zaungast, weggeschwemmt von tosender Gemütlichkeit. Augenzeugen wollten zwar irgendeinen Islamisten gesehen haben, der es ins Bierzelt geschafft hätte, im allgemeinen Getöse aber fand sein salafistischer Sprengkörper keinerlei Beachtung.



   Jetzt wird es still in Deutschland. Diese Stille wird noch bedrückender werden, weil das Auto in seiner bisherigen Daseinsform dem Ende zufährt. Hersteller, die bisher den Geruch ihrer gewaltigen Verbrennungsmaschinen in vollen Zügen eingeatmet haben, weisen unter dem Druck der Politik ihre Ingenieure an, nur noch handtaschenfreundliche Elektromobile zu bauen. Die Ingenieure stöhnen und greifen zu Lötzeug und Kabel, doch auch die noch so kleinste Platine trägt das Anlitz ihrer Verachtung. Bald werden die grossen Städte verwunschenen Klosteranlagen gleichen. Menschen werden sich unterhalten, sich umarmen und zusammenzucken, wenn neben ihnen ein Taschentuch oder eine Zigarettenkippe zu Boden fällt.



   Für die Deutschen ist diese Stille die schwierigste Herausforderung seit der Etablierung des Kreisverkehrs. Wie geht der Mensch mit Ruhe um? Müssen bald Brüllzonen in den Innenstädten eingerichtet werden? Soll man die Rummelplätze und Bierkirchen ganzjährig aufbauen, um dem Menschen Gelegenheit zum Eskapismus zu geben? Ein erstes Beispiel lieferte der Tag der Deutschen Einheit in Dresden, wo ungehemmt geschrien, gepöbelt und gespuckt werden durfte. Die Politik - eigentlich der Hauptdarsteller - war dort nicht mehr als ein Elektromobil, halbwegs sauber und ziemlich still.

 

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