Die ganze Woche über bebte
und zitterte Deutschland unter den Nachbeben der grossen Volksfeste.
Noch einmal entflammt das Gemüt in einer barocken himmelstürmenden
Seligkeit, einem kollektiven Abfluss aufgestauter Körpersäfte
und einem vielstimmigen Chor aus schlingerndem Mutterdeutsch
und Stimmungsliedgut. Es krachten die Lederhosen, es glänzte
der Schweiss der Viskose-Dirndl - wahre Balkone des kontrollierten
Leichtsinns -, es drohten die Bierzelte, jene Kathedralen der
Trunkenheit, aus ihren festen Nähten zu platzen. Doch jetzt,
nach Wochen der Ausschweifungen, geht mit einem gewaltigen eruptischen
Rülpser alles zu Ende. Die grossen Volksbelustigungen auf deutschen
Wiesen und Wasen schickten noch einmal Schweiss, Tränen und
Dunst in die Atmosphäre, nun verschwinden Karohemd und Lederzeug
und mit ihnen auch der ganze Abraum des mehrwöchigen Bacchanals
in der grossen Wäschetonne der Läuterung.

Deutschland
lacht dröhnend, haut sich auf die Schultern, und wer glaubt,
wir Deutschen könnten garnicht feiern, dem sagen wir ... und
ob. Jawohl. Das musste mal. Und überhaupt. Haben wir es allen
gezeigt! Der Terrorismus, der schwarze Schrecken der westlichen
Welt, war am Ende nur ein belachter Zaungast, weggeschwemmt
von tosender Gemütlichkeit. Augenzeugen wollten zwar irgendeinen
Islamisten gesehen haben, der es ins Bierzelt geschafft hätte,
im allgemeinen Getöse aber fand sein salafistischer Sprengkörper
keinerlei Beachtung.

Jetzt
wird es still in Deutschland. Diese Stille wird noch bedrückender
werden, weil das Auto in seiner bisherigen Daseinsform dem Ende
zufährt. Hersteller, die bisher den Geruch ihrer gewaltigen
Verbrennungsmaschinen in vollen Zügen eingeatmet haben, weisen
unter dem Druck der Politik ihre Ingenieure an, nur noch handtaschenfreundliche
Elektromobile zu bauen. Die Ingenieure stöhnen und greifen zu
Lötzeug und Kabel, doch auch die noch so kleinste Platine trägt
das Anlitz ihrer Verachtung. Bald werden die grossen Städte
verwunschenen Klosteranlagen gleichen. Menschen werden sich
unterhalten, sich umarmen und zusammenzucken, wenn neben ihnen
ein Taschentuch oder eine Zigarettenkippe zu Boden fällt.

Für
die Deutschen ist diese Stille die schwierigste Herausforderung
seit der Etablierung des Kreisverkehrs. Wie geht der Mensch
mit Ruhe um? Müssen bald Brüllzonen in den Innenstädten eingerichtet
werden? Soll man die Rummelplätze und Bierkirchen ganzjährig
aufbauen, um dem Menschen Gelegenheit zum Eskapismus zu geben?
Ein erstes Beispiel lieferte der Tag der Deutschen Einheit in
Dresden, wo ungehemmt geschrien, gepöbelt und gespuckt werden
durfte. Die Politik - eigentlich der Hauptdarsteller - war dort
nicht mehr als ein Elektromobil, halbwegs sauber und ziemlich
still.
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