Demokratie - das ist für
mich der Weg zum Wahllokal: Die Strasse vor, dann links in Richtung
Kirche. Dort, wo eine Fahne hängt, da geht es dann hinein.
Es
ist ein schönes Ritual, ich gehe gern wählen. Nicht weil ich
glaube, damit den Lauf der Dinge beeinflussen zu können. Das
habe ich mir längst abgeschminkt. Ich fühle mich irgendwie zugehörig,
wenn ich den Wahlhelfern meinen Ausweis zeige und im Gegenzug
mein Kreuz machen darf. Ausserdem passieren im Wahllokal die
witzigsten Sachen.

Letzte
Woche hat sich die Fachwelt mal wieder über Wahlergebnisse gebeugt.
Warum hat vergangenen Sonntag in Berlin die eine Partei verloren,
die andere aber gewonnen? Herrje, dachte ich mir, wisst ihr
eigentlich, wie Wahlentscheidungen zustandekommen?
Ich
zum Beispiel habe mich mal schwer vertan, obwohl ich damals
Politik studierte. Ich dachte, ich hätte zwei Stimmen und hatte
mir vorgenommen, mit der einen Stimme den Kandidaten der Partei
X und mit der anderen die Partei Y zu wählen. Als ich in der
Wahlkabine den Zettel für die Zweitstimme suchte, gab es keinen.
Wie peinlich! Ich traute mich nicht zu sagen, dass ich mich
verwählt habe und einen neuen Wahlzettel bräuchte. Partei X
bekam somit aus Versehen meine Stimme. So entstehen Mehrheiten
in Deutschland.
Die Leute sollten sich
mehr für Politik interessieren, heisst es immer, es gebe zu
viel Politikverdrossenheit. Nun ja, ich interessiere mich seit
30 Jahren für Politik und kann nur sagen, je intensiver man
dies tut, umso frustrierender wird es. Man lernt vor allem,
wie wenig sich ändern lässt. Die verdrossensten Menschen denen
ich je begegnet bin, waren allesamt Politiker. Wer will, dass
Menschen einigermassen unbeschwert leben, sollte ihnen das Recht
einräumen, sich nicht für Politik interessieren zu müssen. Meine
Familie hat vergangenen Sonntag übrigens auch gewählt, und zwar
einen neuen Oberbürgermeister. Es war ein schöner Ausflug, das
Wahllokal war dieses Mal in einem Kindergarten. Das passte,
denn wir selbst waren ein bisschen kindisch drauf. Das lag zum
einen daran, dass meine Frau und ich nicht so recht wussten,
wen wir überhaupt wählen sollten. Zudem hatten wir Oma dabei,
die nicht so richtig durchblickt, aber als gute Demokraten wollten
wir für eine hohe Wahlbeteiligung sorgen.

Ich
durfte Oma nicht helfen, den Wahlzettel auszufüllen, da hatten
die Wahlhelfer was dagegen. Ich durfte ihr nur sagen, dass sie
in der Wahlkabine ein Kreuz machen soll. Das hat sie dann auch
getan - allerdings nicht auf ihrem Stimmzettel, sondern auf
einem Hinweisschild, das an der Innenseite der Wahlkabine klebte.
Ich fand das lustig, traute mich aber nicht, ein Foto davon
für meine Kinder zu machen. In Deutschland nimmt man Politik
viel zu ernst.
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