Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. September 2016)
 
Demokratie - das ist ein Kindergarten
 

   Demokratie - das ist für mich der Weg zum Wahllokal: Die Strasse vor, dann links in Richtung Kirche. Dort, wo eine Fahne hängt, da geht es dann hinein.

   Es ist ein schönes Ritual, ich gehe gern wählen. Nicht weil ich glaube, damit den Lauf der Dinge beeinflussen zu können. Das habe ich mir längst abgeschminkt. Ich fühle mich irgendwie zugehörig, wenn ich den Wahlhelfern meinen Ausweis zeige und im Gegenzug mein Kreuz machen darf. Ausserdem passieren im Wahllokal die witzigsten Sachen.



   Letzte Woche hat sich die Fachwelt mal wieder über Wahlergebnisse gebeugt. Warum hat vergangenen Sonntag in Berlin die eine Partei verloren, die andere aber gewonnen? Herrje, dachte ich mir, wisst ihr eigentlich, wie Wahlentscheidungen zustandekommen?

   Ich zum Beispiel habe mich mal schwer vertan, obwohl ich damals Politik studierte. Ich dachte, ich hätte zwei Stimmen und hatte mir vorgenommen, mit der einen Stimme den Kandidaten der Partei X und mit der anderen die Partei Y zu wählen. Als ich in der Wahlkabine den Zettel für die Zweitstimme suchte, gab es keinen. Wie peinlich! Ich traute mich nicht zu sagen, dass ich mich verwählt habe und einen neuen Wahlzettel bräuchte. Partei X bekam somit aus Versehen meine Stimme. So entstehen Mehrheiten in Deutschland.

   Die Leute sollten sich mehr für Politik interessieren, heisst es immer, es gebe zu viel Politikverdrossenheit. Nun ja, ich interessiere mich seit 30 Jahren für Politik und kann nur sagen, je intensiver man dies tut, umso frustrierender wird es. Man lernt vor allem, wie wenig sich ändern lässt. Die verdrossensten Menschen denen ich je begegnet bin, waren allesamt Politiker. Wer will, dass Menschen einigermassen unbeschwert leben, sollte ihnen das Recht einräumen, sich nicht für Politik interessieren zu müssen. Meine Familie hat vergangenen Sonntag übrigens auch gewählt, und zwar einen neuen Oberbürgermeister. Es war ein schöner Ausflug, das Wahllokal war dieses Mal in einem Kindergarten. Das passte, denn wir selbst waren ein bisschen kindisch drauf. Das lag zum einen daran, dass meine Frau und ich nicht so recht wussten, wen wir überhaupt wählen sollten. Zudem hatten wir Oma dabei, die nicht so richtig durchblickt, aber als gute Demokraten wollten wir für eine hohe Wahlbeteiligung sorgen.



   Ich durfte Oma nicht helfen, den Wahlzettel auszufüllen, da hatten die Wahlhelfer was dagegen. Ich durfte ihr nur sagen, dass sie in der Wahlkabine ein Kreuz machen soll. Das hat sie dann auch getan - allerdings nicht auf ihrem Stimmzettel, sondern auf einem Hinweisschild, das an der Innenseite der Wahlkabine klebte. Ich fand das lustig, traute mich aber nicht, ein Foto davon für meine Kinder zu machen. In Deutschland nimmt man Politik viel zu ernst.

 

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