Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (04. September 2016)
 
Schlimmer wirds immer
 

   Glücklich, wer positiv denken kann. Wer jeden Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen und breiter Brust in den Tag stürmt, voller Tatendrang und Willenskraft. Wer auf der Überholspur des widrigen Lebens all die Bremser, Drängler, Nörgler, Heuchler und Bedenkenträger im Rückspiegel verschwinden sieht, bis auf einmal alles frei und möglich scheint und ein Satz wie "Wir schaffen das" überhaupt nicht mehr nach einem müden Kalenderspruch aus der Kanzleramtskirche klingt.



   Andererseits mehren sich seit einiger Zeit die Hinweise, dass ein allzu postives Denken schlecht für die Figur ist und einsam macht. Eine renomnierte Psychologin hat zum Thema zwanzig Jahre lang geforscht und fand schliesslich heraus, dass man umso weniger abnimmt, je mehr man sich bei einer Diät seinen künftigen gertenschlanken Körper vorstellt; dass eine Verliebte eher scheitert, je rosiger sie sich die künftige Beziehung mit ihrem Schwarm in ihren Gedanken ausmalt. Man sollte demnach weder seinem Hirn noch dem Koalitionspartner trauen. Wer sich auch am Tage die Zukunft mit Sigmar Gabriel notorisch schönredet, sitzt möglicherweise irgendwann nach einer anstrengenden Warschau-Reise einsam und verlassen mit viel zu engem Blazer und Hundeblick in der Kanzleramtsküche.

   Um ihren Wählern solch heftige Entäuschungen  zu ersparen, propagieren die Politiker im Osten Europas das Glück des negativen Denkens. In Ungarn bietet Ikea im neuen Katalog einen speziellen Maschendrahtzaun fürs Wohnzimmer ("Ätschibätsch") an und Särge zur Selbstmontage ("Postmortik", Buche hell). In Bratislava sind die morgendlichen Slibowitz-Gläser (0,5l) der Bürgerwehren per Dekret nur noch halb voll. Die polnische Ministerpräsidentin wiederum empfiehlt zur Abschreckung von Brüsseler Vampiren, Angela Merkel und Flüchtlingen neuerdings das Tragen von geweihten Kruzifixen und jungfräulichen Knoblauchkränzen.



   So viel gesunder Pessimismus ist ansteckend - und zwar grenzüberschreitend. Man ahnt, dass die Zukunft nicht zwingend besser sein muss als ihre Vergangenheit. "Warum wird Putin so geliebt?" fragt die "Zeit" auf ihrer Titelseite. Und der glückliche Schwarzseher antwortet: Weil Putins Nachfolger womöglich noch schlimmer sein könnte. Augenblick, verweile doch! Du bist so schnöd.

   Nur mit dieser fatalistischen Haltung vermag man den anschwellenden Bocksgesang um allerlei K-Fragen auszuhalten: Kanzlerinnen, Kretschmänner und Kapitäne von deutschen Fussballmannschaften sollten künftig ab einer gewissen Amtszeit von jeglichen demokratischen Prinzipien ausgeschlossen werden. Einmal gewählt, regieren sie, bis sie tot umfallen. Schlimmer wird's immer. Und glücklich, wer negativ denken kann.

 

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