Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. Juni 2016)
 
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   Früher dachte ich, mein Geschmack wäre ein ganz besonderer, aber das ist vorbei. Es hängt nicht nur mit der Lebenserfahrung zusammen, die man sammelt. Es hat auch mit dem Internet zu tun.

   Mir ist aufgefallen, dass ich mich gerne an den Bewertungen anderer orientiere. Bei der Auswahl eines Buches lese ich zum Beispiel erst einmal die Rückseite. Wenn da keine Literaturkritiker begeistert den Buchrücken kraulen ("... ein grandioser Roman ..."), dann stelle ich es meist zurück. Einem Buch hingegen, das den Pulitzer-Preis gewonnen hat, gebe ich in jedem Fall eine Chance.

   Manche mögen das schlimm finden, aber auf die gebe ich nicht viel. Es ist ja nicht so, dass ich es jedem recht mache will. Menschen, die mir einreden wollen, ich sei einzigartig, wollen mich für dumm verkaufen. Die Wahrheit ist, ich bin totaler Durchschnitt.



   Ich merke das auch, wenn es um Kino und Musik geht. Immer schaue ich im Internet, wie die Filme und die Lieder bewertet wurden. Was bei Amazon mindestens vier Sterne trägt, das ziehe ich mir rein. Und meistens - ich muss es leider sagen - kann ich mich den Bewertungen anschliessen. Warum also mühselig eigene Wege gehen? So ist es viel praktischer.

   Diese Woche allerdings ist mein Glauben an die Bewertungen im Internet erschüttert worden. Mir war zwar schon vorher klar, dass da auch Schindluder getrieben wird, aber dass ein Betrüger fünf Sterne hat, das hätte ich mir nun auch nicht vorstellen können.

   Es war so, dass ich bei irgendeinem Ebay-Händler Rasierklingen bestellte. Meine Rasierklingen sind im normalen Handel unverschämt teuer. Ja, ich weiss jetzt auch, dass das riskant ist. Die meisten angebotenen Rasierklingen sind angeblich gefälscht. Aber ich hatte bislang gute Erfahrungen gemacht. Dieses Mal aber waren die Klingen der letzte Schrott. Eindeutig Fälschungen aus China, die man mit blossem Auge nicht erkennen kann. Aber meine Barthaare lügen nicht, und das habe ich dem Ebay-Händler auch geschrieben. Er bekam von mir eine schlechte Bewertung - seine erste.

   Und was macht der Typ? Redet gar nicht lange um den heissen Brei herum, sondern macht mir ein unmoralisches Angebot: Ich kriege mein Geld zurück (immerhin 20 Euro), wenn ich meine Bewertung ändere, den vielen Lobhudeleien also eine weitere hinzufüge.



   Was soll ich sagen? Ich habe es gemacht. Ich bin nicht besser als die anderen. Warum soll ausgerechnet ich den Kampf gegen massenhafte Fälschungen aufnehmen? Ich erleichtere mein Gewissen, indem ich Ihnen, liebe Leser, hiermit rate: Kaufen Sie Ihre Rasierklingen lieber in der Drogerie!

   Und die Moral der Geschichte? Es gibt keine! Zumindestens keine höhere. Sie brauchen diesen Artikel nicht zu bewerten. Ich weiss auch so, was Sie denken.

 

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