Das Jahr fühlt sich noch
jung an. Doch seine musikalische Lebenserwartung ist gering.
Die traurigen Nachrichten türmen sich wie diese grabsteingrauen
Wolken am Horizont, man kommt mit dem Schreiben von Nachrufen
nicht mehr hinterher. Erst verabschiedet sich David Bowie wie
Major Tom ins ewige Nichts, dann die "Singende Spreewaldgurke"
Achim Mentzel, schliesslich Prince und jetzt noch Peter "Clown"
Behrens von Trio, einer unterschätzten Band aus den 80ern, die
der dauergrillenden Generation Craft Beer jetzt wenig sagen
wird.
Für die Älteren hingegen ist
die Zeit der Heldendämmerung angebrochen. Jede Ü40-Party wird
ab sofort zur Gedenkveranstaltung, zur Abschiedstournee. Manche
schluchzen dieser Tage einfach so vor sich hin, selbst ohne
Zuhilfenahme von toxischer Raumluft, Pollen oder umherfliegender
Grillasche aus Hipsternachbars Balkon. Man fragt sich, welche
lebende Spitznamenlegende als Nächstes zum letzten Tanz aufgefordert
wird. Angie? Supermario Götze?

Vielleicht
ist die allgegenwärtige Verlust- und Abstiegsangst der Grund,
weshalb viele Fans sich jetzt verzeifelt an Udo Lindenberg klammern
wie der Besoffene an den Laternenmast oder der VFB Stuttgart
an die Relegation. Hymnen und Oden, wo man auch hineinblättert.
Zum 70. Geburtstag der "Nachtigall" klatschen sich
die Feuilletonisten hemmungslos die schwieligen Hände blutig
wie die Deligierten auf dem Parteitag von Pjöngjang. Man trägt
wieder Hut, sucht jemand, zu dem man aufblicken kann, reimt
sich was zusammen in der panisch orchestrierten Mittelschicht.
Was
auch daran liegen mag, dass so ein vernuschelter, Hermann-Hesse-hafter
Liedtext von Lindenberg immer noch leichter zu kapieren ist
als die letzte Heuchelei, die sich hinter dem letzten Kürzel
in TTIP verbirgt, oder die Kunst, wie man seinen Bauchspeck
in fünf Tagen verliert. Alles ist dermassen komplex. Und so
ist der bekennende Sozi Lindenberg für die Deutschen der Helmut
Schmidt des Pop, der Unaufsteigbare, das letzte Aufgebot im
Kampf gegen das Übergewicht des Bösen.

Apropos
Bauchspeck. Der Name einer anderen Pop-Ikone steht schon auf
der schwarz-roten Liste, die Trauerredner dichten schon seit
Tagen an den Elegien des Abschieds. Sigmar Gabriel ist's, der
Siggi Stardust und Big White Duke einer legendären Band namens
SPD. Gabriels kometenhaften Karriere begann als tarifgebundener
Tanzbär in einer Goslarer Post-Punk-Boygroup, deren Songs um
Adipositas, Altersarmut und August Bebel kreisten. Heute steht
der einst mit Putzfrauenschlüpfern übersäte Frontmann der Siechenden
Partei Deutschlands im riesigen Schatten seiner selbst. Gabriel,
der neomurxistische Popper, trifft links und untenherum keinen
Ton mehr. Da hilft auch kein Hut mehr.
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