Wer an einem sonnigen, frühlingsschwülen
Samstag mitten in Stuttgart die Augen schliesst, hat das Gefühl
ganz weit weg zu sein. In Amsterdam vielleicht. In einem der
östlichen Arrondissements von Paris. Oder in Berlin-Kreuzberg.
Man wähnt sich an einem dieser verwunschenen Orte, wo es mehr
junge Touristen als Tauben, sportliche Geländewagen mit WG-Zimmer-grossen
Alufelgen oder mehr als ein Restaurant gibt, wo man auch nach
22 Uhr noch etwas Warmes und vor allem Geniessbares freundlich
serviert bekommt. Diese Städte weit ausserhalb von Stuttgart
schlafen nie, hört man, und zwar sprichwörtlich, denn die vielen
Fremden, die mit ihren Billigfliegern und Billigbussen in diese
anziehenden Städte einfallen, umgibt stets eine eigenartige
Geräuschkulisse.

Frühmorgens
wie auch spät in der Nacht finden die Einheimischen keinen Schlaf,
weil es überall rasselt und quietscht und poltert und reibt
und rattert wie in einer Klangkompsition des unterschätzten
Pioniers der Industrial-Musik Maurizio Bianchi. Gefragt, worum
es ihm geht bei seinen Arbeiten, antwortete der Italiener einst
mit der erklärten Absicht "in meinen radikalen Arbeiten
den Hörer auf den elektrischen Stuhl zu setzen, mit seinem Blut
zu gurgeln und sein Nervensystem zu verletzen. Das kann man
sadistisch finden, aber es ist resolut, eindeutig und ohne Kompromisse."
So
ungefähr schallt es in den Hörgängen der Einwohner, wenn die
Generation Trolley durch London oder Berlin von Hotel zu Hotel
zieht. Monika Herrmann, die Bezirksbürgermeisterin des Berliner
Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg dachte vor einiger Zeit laut
über Sanktionen für das lärmende Tourivolk nach und schlug zum
Schutz der genervten Bevölkerung Rollkoffer mit dämpfenden Gummiräder
vor. Daraus wurde nichts, auch weil man gehört und gesehen werden
möchte. Der Rollkoffer ist inzwischen weit mehr als ein praktisches
Transportmittel, er ist vor allem auch ein modisches Accessoire.
Mit so einem Teil ist man ein Grossstadtnomade, ein Weltenbürger,
ein Flugmeilen-Millionär. Deswegen gehört zur Angeber-Grundausstattung
neben einem Becher Smoothi/Coffee to go in einer Hand das Smartphone
in der anderen. Wie man dann noch ohne eine dritte Hand den
Rollkoffer hinterherzieht, ist eine Kunst, die erstaunlich viele
Jungmenschen beherrschen. Sie wissen auch, welches Köfferchen
von Tumi, Rimova oder - ganz doll in Mode - von Vaude zum Globetrotter-Image
passen.

Man
ist, was man zieht.
Und während in
Kreuzberg eine Antihipster-Punkband namens Killerkomando Rollkoffer
ein Konzert gibt, schlägt man in der Neckarstrasse an einem
frühlingsschwülen Samstag die Augen auf und sieht: Keine schicken
Rollkoffer. Sondern junge Leute, die monströse Grillgerätschaften
auf ungeölten Rollen hinter sich herschleifen, behängt mit Fjällräven-Rucksäcken,
Bierkästen und Kühltaschen vom Discounter. Zum Grillen im Park
trägt man Gummilatschen und Synthetik-Shorts, gegen die kein
Deo hilft. Und es rasselt und quietscht und poltert und reibt
und rattert vor sich hin. Auch das ist eine Mode. Da hilft nur
eins: Augen zu und weg.
|