Die verlogenste Schlagzeile
der Woche lautet: "Jugend in Deutschland wird immer angepasster."
Was da scheinbar als reine Nachricht daherkommt, ist im Grunde
genommen ein Vorwurf. Eigentlich hätte da stehen müssen: "Hey,
Jugend, sei nicht so verdammt angepasst. Sei so revolutionär
und wild, wie wir das einst waren."
Der
Sozialforscher Klaus Hurrelmann, Jahrgang 1944, ist für die
Jugendstudie verantwortlich, die zu der Überschrift geführt
hat. Er wird im Kleingedruckten mit folgenden Satz zitiert:
"Das geht schon in Richtung Überanpassung."

Ich
kenne im Gegensatz zu Hurrelmann nicht die Jugend, ich kenne
nur einzelne ihrer Vertreter. Aber da ich davon ausgehe, dass
sie alle ganz ähnlich ticken, eine Ansprache.
Liebe
Jugend, lass dich nicht verrückt machen. Bleib, wie du bist!
Kein Mensch will, dass du auf die Barrikaden gehst und die Welt
auf den Kopf stellst. Zumindestens niemand, der mit dir zu tun
hat. Mir jedenfalls ist niemand bekannt, der mit, sagen wir
mal, einem Revolutionär unter einem Dach leben möchte. Schon
deshalb nicht, weil Revolutionäre im Haushalt zu nichts zu gebrauchen
sind. Weder von Che Guevara noch von Bertold Brecht ist überliefert,
dass sie jemals zum Getränkemarkt gefahren wären oder eine Spülmaschine
ausgeräumt hätten.
Wenn ich die Sache
richtig verstehe, ist Revolutionär ein Ganztagsjob. Der Revolutionär
ist mit seiner Revolution und mit sich selbst beschäftigt. Von
Herrn Jesus abgesehen ist kein Revolutionär durch allzu grosse
Menschenfreundlichkeit oder Warmherzigkeit aufgefallen. Von
Brecht weiss man, dass er ein Weiberheld und ein rücksichtsloser
Autofahrer war. Ist ja irgendwie selbstverständlich, wer die
Welt retten will, kann sich nicht um all den zwischenmenschlichen
Kleinkram kümmern. Der will einfach mal die Sau rauslassen.
Oder er läuft tagein, tagaus im selben Tarnanzug herum. Es würde
mich nicht wundern, nähme es so ein Genosse mit der Körperpflege
nicht ganz so genau.

Und
dann ständig diese Grundsatzdebatten! Können Sie sich vorstellen,
dass Sie mit einem auf Krawall gebürsteten Jugendlichen einen
entspannten Sonntagsabend vor dem Fernseher verbringen könnten?
Da muss man nicht bis Anne Will warten, da wird schon beim "Tatort"
der Kapitalismus in Bausch und Bogen verdammt. Ich habe nichts
gegen freundliche junge Leute, die an ihre Karriere denken und
meine Rente bezahlen.
Auch wenn ich
mit der Jugend sprachliche Verständigungsprobleme habe, ich
glaube zu spüren, wie sie drauf sind. Wer ständig neue Smartphones
braucht und Handyverträge bezahlen muss, wäre ganz schön blöd,
würde er es sich mit seinen Ernährern verscherzen. Die deutsche
Jugend ist nicht überangepasst, lieber Herr Hurrelmann, sie
ist einfach nur clever.
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