Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (20. Dezember 2015)
 
Frau Merkel, bitte eine neue Grenze!
 

   Nach allgemeinem Dafürhalten hat Kanzlerin Merkel diese Woche eine historische Rede gehalten. Auf dem CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe hat sie für die Flüchtlingskrise alles und jeden verantwortlich gemacht - ausser sich selbst und ihre Politik. Diese Kunst, mit dem Finger auf andere zu zeigen und somit den Ärger von sich wegzuhalten, zeichnet grosse Reden aus. Man nennt solche Reden daher auch wegweisend.

   Schuld am anhaltenden Flüchtlingszustrom nach Deutschland sind laut Merkel nicht ihre Willkommensgesten, sondern die allgemeinen Verhältnisse auf der Welt, Armut und so. Flüchtlingsströme. Globale Erderwärmung. Das alles will Merkel nun lösen - in einer grossen Rede ist immer auch ein Schuss Grössenwahn drin. Der Vorteil derart luftiger Ankündigungen ist, dass Merkel damit Zeit gewinnt. Bis sie von der internationalen Bühne mit einem blauen Auge zurückkehrt, wird es ein Veilchen dauern.



   Bis dahin müssen die Armuts- und Kriegsflüchtlinge dieser Welt halt einfach mal ein Einsehen mit Deutschland haben und wegbleiben. Merkels CDU hat schliesslich mehrheitlich ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, der Zustrom möge sich verringern. Das ist aus Sicht der zerstrittenen Partei natürlich ein toller Kompromiss. Allerdings ist mehr als zweifelhaft, ob irgendein Flüchtling Parteitagsbeschlüsse liest. Merkel hatte ja zuvor schon mal höflich rumgefragt, wie viele Flüchtlinge denn noch kommen wollen. Die Antwort war: Millionen! Nun ist guter Rat teuer, denn was das Ziehen von Grenzen angeht, ist Merkel gedanklich und politisch etwas limitiert.

   "Grenze" ist in diesem Jahr zum Unwort geworden. Die Deutschen mussten lernen, dass es ihre Kanzlerin für richtig hält, Deutschlands Grenzen nicht mehr zu sichern. Das gehe erstens gar nicht und sei zweitens unmenschlich. So mancher fragt sich zwar im Stillen, wozu es dann noch eine nationale Regierung braucht, aber er hält lieber den Mund. Immerhin hat Merkel Privatleuten das Grenze-Flechten noch nicht verboten.

   Alles hat sein Grenzen! Man muss Kindern Grenzen setzen! Mit solchen Volksweisheiten ist Deutschland aufgewachsen. Und jetzt soll das alles nicht mehr gelten? Das Wort "Obergrenze" dürfen CDU-Mitglieder im Zusammenhang mit Flüchtlingen nicht einmal mehr in den Mund nehmen. Und zwar auch deshalb, weil die Schwesterpartei CSU provokativ mit diesem Begriff operiert und für die Kanzlerin auf ihrem Parteitag kürzlich Sticheldraht ausgerollt hat.



   Tatsächlich will auch Merkel Grenzen. Sie will sich nur nicht die Hände schmutzig machen. Wie einst Kanzler Kohl zückt sie das Scheckbuch und bezahlt der Türkei Milliarden dafür, dass die ihre Grenze besser sichert. Wie die Türkei das umsetzt, will Merkel garnicht wissen. In einem Land wie Deutschland, in dem den Bürgern selbst das Ponyreiten zu grausam geworden ist, scheint das die richtige Strategie, statt eine Obergrenze festzulegen, lieber bei anderen eine Grenze bestellen. Und zwar eine, die möglichst weit weg ist.

 

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