Ein Geräusch liegt in der
Luft. Ein Zuzeln, Keuchen, Schnaufen, das zwischen einem tuberkolösen
Dampfkochtopf und einer defekten Toilettenspülung oszilliert.
Es wird begleitet von einem Sprühnebel, der Trugbilder in den
Weihnachtsmärkten projiziert und die Verkehrsstaus in eine milchig-sentimentale
Passion verwandelt. Das neblige Keuchen ist die traditionelle
Begleiterscheinung des Winters in Mitteleuropas. Er wird verursacht
durch ein ruckartiges Hochziehen des Naseninhalts, der dort
zwischen Kleinhirnrinde und Nasenscheidenwand einen Moment verharrt,
um dann desto vehementer wieder nach unten zu schiessen - zum
Licht, zur Freiheit - und dabei die um ihn tanzenden Schleimtröpfchen
in ein Ballett der Virologie verwndelt, das am Ende einen feuchten
Abdruck auf dem Pflaster der Fussgängerzone hinterlässt.

Die
Tröpfchen gehen weite Wege. Eine Nase an der Ostseeküste entlässt
sie, böiger Küstenwind trägt sie bereitwillig über das Land,
sie schmiegen sich an den Handrücken eines Bediensteten der
Bahn, der sie wiederum mit in den ICE "Bettina von Arnim"
transportiert, wo sie sich im feuchtwarmen Klima des Bordbistros
- zwischen Milchschaum und aufgewärmten Hähnchenschnitzeln -
wie zu Hause fühlen. Ein ausgeschenkter Kaffee lässt sie in
der ersten Klasse wandern, wo sie sich an die glänzende Glasfläche
eines nagelneuen iPhone 6 anheften, dessen Besitzer mit seinen
makellos manikürten Zeigefinger einige Millionen von ihnen in
die ebenso makellose Büroflucht eines Frankfurter Bankenhochhauses
trägt.
Dort löst sie bei einem Börsentrader
im Handelsraum ein exlosionsartiges Niesen aus, in dessen Folge
seine Computermaus einen kleinen Satz in Richtung eines von
der Pleite bedrohten Schiffsfonds macht, diesen mit dem Einsatz
einiger Milliarden zwar rettet, aber die Bank in den Abgrund
stürzt und einen weltweiten Absturz der Märkte, allgemeine Kapitalflucht,
Armut, Überschuldung, Kriminalität und Zivilisationsmüdigkeit
auslöst. Die panikartig aus ihren Geldhäusern fliehenden Händler
tragen den Schleim des Winters in ihre Lofts und Penthouse-Wohnungen,
wo er sich an Kinder, Geliebte und Bordeauxflaschen anheftet.

Damit
ist der infektiöse Inhalt einer friesischen Nase endgültig unter
uns, Wenn Sie, lieber Leser, diese Zeitung in Händen halten,
ist es bereits zu spät. Auch diese Kolumne dient den Virentrupps
als Brücke zum Menschen, in dessen Privatsphäre sie sich ungenierter
breitmachen als jede Schadsoftware, die über die sozialen Netzwerke
zu uns einsickert. Studien zufolge ist die Zeitung neben der
Oberfläche eines Handys, der Küchenspüle und dem Milchschaums
eines Cafe macchiato die am weitesten mit Erregern übersäte
Fläche der modernen Gesellschaft. Wer sich davor schützen will,
bewahrt Taschentuch und Zeitung nie in der gleichen Tasche auf,
geht nicht zum Briefkasten, meidet öffentliche Verkehrsmittel,
Kettencafeshops und Weihnachtsmärkte und trinkt täglich ein
Gläschen Sagrotan. Bis März lässt sich das problemlos durchhalten.
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