Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (08. November 2015)
 
Wohlige Herbstapathie
 

   Deutschland kuschelt wieder. Es ist Herbst - jene Zeit, in der aus den Kitas und Schulen Choräle gellen und die Nebelscheinwerfer der Geländewagen wie die gelben Finger eines kettenrauchenden Barpianisten in den Dunst greifen. Der Mensch möchte einen Roman schreiben, seinen schweren Körper in Form bringen, im Beruf mit überraschenden Ideen glänzen, doch eine wohlige Apathie zwingt ihn nieder. Er bettet sich auf Zimt-Mandel-Aromakissen, trinkt Vanilletee mit Kardamom-Splittern und schaut mit glasigen Augen in die Backröhre, wo sich Bratäpfel in Gebilde verwandeln wie Figuren eines in den siebziger Jahren gedrehten Alien-Films. Er sieht all die Scheusslichkeiten der realen Welt und fröstelt.



   Draussen zieht das Leben weiter. Nach wochenlanger Verwirrung hat die Politik wieder das Heft des Handelns an sich gerissen. In Bayern wurde die erste grosse Transitzone eingeweiht. Horst Seehofer und die Spitzen der CSU liessen es sich nicht nehmen, den weiss-blau geschmückten Nato-Stacheldraht-Zaun selbst mit der Drahtschere zu durchschneiden. Punkt 12 Uhr feuerten die bayerischen Gebirgsschützen ein paar Salven ab, die ausbrechende Panik konnte rasch eingedämmt werden. Zahllose Prominente strömten über den roten Teppich ins Innere. Die Eindrücke waren fast einhellig popsitiv. Till Schwieger. "Sieht alles sehr gut aus, aber wenn ihr mich noch mal beim Lachen fotografiert, gibt's Ärger." Claudia Roth: "Dieses Lager kann erst eröffnet werden, wenn ich alle 23000 Insassen umarmt habe. Aber irgendwie scheinen die Angst vor meinen Wintermantel zu haben. Die laufen alle weg." Akif Pirincci: "Der Drahtzaun ist nicht elektrisch geladen. Die Deutschen wissen nicht mehr, wie man richtige Lager baut. Und weshalb tragen die Schwulen keinen rosa Winkel?" Angela Merkel: "Das ist alles erst der Anfang. Ich bin mit meinen europäischen Kollegen im Gespräch. Albanien ist bereit, sich komplett in eine Transitzone umwandeln zu lassen.Mit Zaun, Klimaanlage und auf Wunsch veganer Küche. Ist eh nicht viel los da unten. Wir bezahlen natürlich alles."



   Kehrt nun wieder Ordnung in die Berliner Koalition ein? Beobachter bezweifeln das. Die Empfindlichkeiten und Kränkungen liegen tiefer als der Dissens in der Flüchtlingsfrage, Es muss vor drei Jahren gewesen sein, als Gabriel auf einem Staatsbankett vor den Augen von Peter Altmaier die letzten 23 Schinkenröllchen mit Mayonaise gegessen hatte. Altmaier liess daraufhin die Körperfettwerte des SPD-Chefs an den US-Nachrichtendienst durchsickern. Ursula von der Leyen spielte dem Boulevard die Mallorca-Urlaubsfotos ihres Amtsvorgängers de Maizière zu. Er sass in einer Serrano-Villa und ass einen Finka-Teller. Es kann aber auch umgekehrt gewesen sein. Schliesslich torpedierte die SPD Pläne von Verkehrsminister Dobrindt, entlang der Westbalkanroute Mautstellen zu errichten. Dobrindt kündigte eine Gegenoffensive mit Sternsingern aus dem oberbayerischen Pfaffenwinkel an. Deutschland vergräbt sich.

 

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