Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. November 2015)
 
Die grosse Wurstigkeit
 

   Als dieser Tage eine junge Frau voller Erwartung und Erregung ihr Zalando-Paket entgegennahm und sogleich die Innereien der frisch bestellten Handtasche erkundete, fingerte sie überraschenderweise keine Pflegeanleitung für Leder heraus, sondern eine noch ganze Zwiebelmettwurst.



   Eigentlich hätte die Kundin schreien müssen vor Glück, schliesslich ist so eine Zwiebelmettwurst mit 60-prozentigem Schweinebauchanteil (mittelfett) eine bekömmliche, vitaminreiche und beliebte Zwischenmahlzeit in der Vorderladerpfalz und einigen Fernfahrerkneipen in Ostwestfalen. Doch diese undankbare Frau (100-prozentig akademisch und laktosefrei, doppelmager) beschwerte sich lauthals und bitterlich auf Facebook über den Online-Händler, dessen Kundenwursttheke auch nicht stimmig erklären konnte, wie das Lebensmittel ins Accessoire geriet.

   Ein Skandal. Jeder weiss, dass übermässiger Verzehr von Gammelfleischbatzen, gesottenen Pansen und grobem Mett in Damenhandtaschen ohne Senf krebserregend sein kann. Zudem führt das Zalando-Beispiel auf drastische Weise den Ansehensverlust eines urdeutschen Kulturguts vor Augen. Früher wurden Metzger und Wurstfachverkäuferinnen in diesem Land verehrt wie heute Daniela Katzenberger, Grünkohl-Smoothies oder bayrische Ministerpräsidenten. Zahllose Currywurst-Zipfel machten Schauspielkarrieren, glänzten in komplexen Hauptrollen wie etwa im Kölner "Tatort" oder überzeugten in hormonell anspruchsvollen Pornoproduktionen (Ohne Ketchup und Pelle). Die genialen Pressköpfe der "Frankfurter Schule" begründeten die wichtigste philosophische Schule nach dem zweiten Schlachtfest, die "Dialektik der Aufbrühung" wurde zum Bestseller in links kokelnden Universitätskantinen. Selbst unsere Politikredaktion leistete sich jahrzehntelang mehrere Bratwurstkorrespondenten in Berlin, die Minister und Staatssekretäre im Wochentakt grillten.

   Verarbeitetes Fleisch war aus dem Alltag nicht wegzudenken. Ein typisches Herrengedeck nach Feierabend bestand aus einem Korn, einem saftigen Bierschinken und einem frisch gezapften Schwartenmagen im Glas. Extrawürste im Golddarm waren in der Deutschen Bank an der Tagesordnung. Man zuzelte sich nach oben. Der Gesetzgeber verabschiedete poetische Wortkreationen in Aspik, so schlapp und salzig wie eine geräucherte Meterwurst: Asylbewerberleistungsgesetz, Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz oder auch Wohnungsgeberbestätigung. Deutschland, einig Wurstland.



   Doch damit ist jetzt Schluss. Nördlich des Seehofer'schen Weisswurstäquators verweigern linksliberale Hipster, Teilzeit-Veganer und Flüchtlingsversteher die tägliche Gesichtsrasur, um nicht mit einer bleichen, glatten CSU-Wurst verwechselt zu werden. Zudem ergab eine aktuelle Studie der Weltgesundheitsbehörde zur Religiösität der Deutschen, dass lediglich jeder dritte Befragte noch an das ewige Leben glaubt, jeder zweite aber unter Flatulenzen leidet. Das kann uns nicht wurscht sein.

 

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