Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. Oktober 2015)
 
We are all sitting in one Schlauchboot
 

   Eine Aktion der Flüchtlingsinitiative Sea Watch auf der Spree hat diese Woche hohe Wellen geschlagen. Politiker und Journalisten waren im Berliner Regierungsviertel in ein waschechtes Schlauchboot gestiegen, das Sea Watch im Juli aus dem Mittelmeer vor Libyen gefischt hat, mit 120 Menschen an Bord. Im Netz hagelte es böse Kommentare ob der medialen Schwimmübung "auf der rauen Spree". Ein Facebook-Nutzer schrieb: "Damit ist dann auch der letzte Stück Verstand über Bord gegangen."

   Natürlich, wie die Damen und Herren Parlamentarier in orangefarbenen Schwimmwesten über ihren Übergangsmänteln auf dem aalglatten Waser dümpelten, das sah schon reichlich bescheuert aus. Bewegung ins Laienspieltheater kam erst, als wendige Boote mit Kameraleuten an Bord die Spree aufwühlten - so erinnerte die Szenerie ein wenig auch an eine Walrettungsaktion von Greenpeace. Wenn der Eindruck nicht trügt, war das Gros der teilnehmenden Polit-Nasen dem linken Spektrum zuzuordnen. In der Sprache der Seeleute heisst das: Sie kamen von Backbord.



   Wer ganz genau hinsah, der konnte tiefe Betroffenheitsfalten auf der Stirn der hernach interviewten Damen und Herren erkennen, als sie wieder Land unter den Füssen hatten. Im Grunde haben Polit-Promis wie Sahra Wagenknecht von der Linken und Simone Peter von den Grünen nur einen Ratschlag des grossen Interviewers Reinhold Beckmann beherzigt: Sie wollten fühlen, wie sich das so anfühlt, auf so einem Flüchtlingsboot auf hoher Spree. Kann man auch nicht wissen, wenn man so ein Ding nie von innen gesehen hat.

   Hinterher sagte Frau Wagenknecht, sie stelle sich das "ganz schlimm vor", über das Mittelmeer zu treiben - ein nachdenklich stimmender Satz, der mutmasslich an die Adresse all jener gerichtet war, denen beim Anblick von Flüchtlingsbooten im Fernsehen die folgende Volksweise durch den Kopf geht: "Eine Seefahrt die ist lustig, / eine Seefahrt die ist schön, / ja da kann man manche Leute / an der Reling kotzen seh'n."

   Im Grunde muss man als Volk doch froh sein, wenn unsere Bundestagsabgeordneten das Hohe Haus verlassen, um das Übel der Welt am eigenen Leib zu erfahren. Vielleicht war die Übung ja auch nur der Anfang. Wer sagt uns, dass das nächste mit Polit-Prominenz beladene Schlauchboot nicht vor Libyen ins Wasser gelassen wird - am besten unter Anleitung des Ex-Stuntman und Extremsportvermarkters Jochen Schweizer. Man muss die Sache ja nicht bis zum bitteren Ende durchspielen.



   Ausserdem, dass Politiker sich für nichts zu schade sind und sich auf Augenhöhe mit dem gemeinen Volk begeben, ist so neu nicht. Sich auf Volksfesten durch die Bierzelte zu saufen, ist ja gewiss nicht das reine Zuckerschlecken.

   Am schönsten aber ist, dass die tiefe Erkenntnis der Schwimmübung parteiübergreifend ist, rief sie doch ein Oettinger-Wort ins Gedächtnis: "We are all sitting in one Schlauchboot."

 

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