"Aber ich wusste immer,
dass meine Neutrinos oszillieren. Ich meine, man spürt doch,
wenn die abends nach der 'Tagesschau' durch den Körper wandern."
- "Genau, aber das wollte ja niemand hören." - "Tja,
die Herren Wissenschaftler brauchen erst einen Superdetektor.
200 Gramm Kochschinken bitte." - "Hätten die mal uns
gefragt. Von der Mailänder Salami auch einen Zipfel." -
"Übrigens schon den Artikel in 'Science' über Myon-Neutrinos
gelesen? Den Kochschinken packen Sie bitte getrennt ein."
- "Nein. Gibt's die Dinger wirklich?" - "Die
Chinesen werden schon eins ausgraben, hehe." - "Ich
muss los. Soll ja was auf dem Tisch heute Mittag." - "Nimm
von der Lyoner lieber mehr. Die hat weniger Masse als ein Photon."

Dieses
Gespräch zweier Hausfrauen an der Wursttheke zeigt, wie stark
die Erkenntnisse der Wissenschaft in unseren Alltag eingedrungen
sind. Vor allem an jenen Tagen, wenn die Nobelpreise verliehen
werden. Sie gingen in dieser Woche wieder an ältere Menschen,
die linkisch in die Kamera lächelten und froh waren, schnell
weiterarbeiten zu können. Wissenschaftler sind populär wie nie.
Jede Bäckerei serviert Higgs-Teilchen mit Cremefüllung, Becquerel-Margarine
ist beliebt als Brotaufstrich, Kathoden sind kein Grund mehr,
einen Urologen aufzusuchen. Die Wissenschaft hat unsere Welt
entschieden nach vorn gebracht. Den Doppler-Effekt kennt jeder
Trinker, erst recht, wenn er von der Aufspaltung der Spektrallinien
im Sichtfeld und der asymetrischen Erweichung letzter Gehirnzellen
begleitet wird. Millionen junger Menschen liessen sich nach
dem Krieg nach dem Vorbild Heisenbergs zum Quantenmechaniker
ausbilden - erst ihre Erfahrung ermöglichte den Austausch einer
Hauptantriebswellendichtung beim VW-Käfer. Das ging nicht ohne
Begleitschäden ab. Ältere erinnern sich noch, wie nach dem ersten
simulierten Zusammenstoss eines Elektrons mit einem Atom die
Marmeladengläser im Keller klirrten.

Populärer
als die Physiker sind nur die Ökonomen. Ohne ihre beharrliche,
dabei nie die Realität der menschlichen Natur aus den Augen
verlierende Arbeit wären Börsenkrisen, Pleiten und Massenentlassungen
undenkbar, kurz: Der Kapitalismus wäre genauso langweilig wie
das Leben in Nordkorea. Robert J. Shiller entdeckte beispielsweise,
dass Finanzmärkte nicht immer effizent arbeiten. Das hat zu
einem Umdenken in den Bankhäusern geführt. Beim Abschluss eines
Sparvertrags auf der Basis zypriotischer Schiffsfonds werden
seitdem auf Seite 1390 die Risiken erwähnt. Nobelpreisträger
Eugene Fama sah früh, dass Aktienkurse nur schwer vorhersagbar
sind. Daraufhin wurde in der Handelszentrale der Deutschen Bank
der sogenannte Fama-Würfel eingeführt, mit dem die Analysten
ihre Prognosen ausknobelten. Die Boni-Rate hat sich seitdem
verviertausendfacht. Wenn wie geplant jetzt die Nobelpreise
für Kleintierkunde, Gartenpflege, vegane Küche und Kindererziehung
eingeführt werden, ist die Welt eine bessere.
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