Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (11. Oktober 2015)
 
Higgs-Teilchen mit Creme
 

   "Aber ich wusste immer, dass meine Neutrinos oszillieren. Ich meine, man spürt doch, wenn die abends nach der 'Tagesschau' durch den Körper wandern." - "Genau, aber das wollte ja niemand hören." - "Tja, die Herren Wissenschaftler brauchen erst einen Superdetektor. 200 Gramm Kochschinken bitte." - "Hätten die mal uns gefragt. Von der Mailänder Salami auch einen Zipfel." - "Übrigens schon den Artikel in 'Science' über Myon-Neutrinos gelesen? Den Kochschinken packen Sie bitte getrennt ein." - "Nein. Gibt's die Dinger wirklich?" - "Die Chinesen werden schon eins ausgraben, hehe." - "Ich muss los. Soll ja was auf dem Tisch heute Mittag." - "Nimm von der Lyoner lieber mehr. Die hat weniger Masse als ein Photon."



   Dieses Gespräch zweier Hausfrauen an der Wursttheke zeigt, wie stark die Erkenntnisse der Wissenschaft in unseren Alltag eingedrungen sind. Vor allem an jenen Tagen, wenn die Nobelpreise verliehen werden. Sie gingen in dieser Woche wieder an ältere Menschen, die linkisch in die Kamera lächelten und froh waren, schnell weiterarbeiten zu können. Wissenschaftler sind populär wie nie. Jede Bäckerei serviert Higgs-Teilchen mit Cremefüllung, Becquerel-Margarine ist beliebt als Brotaufstrich, Kathoden sind kein Grund mehr, einen Urologen aufzusuchen. Die Wissenschaft hat unsere Welt entschieden nach vorn gebracht. Den Doppler-Effekt kennt jeder Trinker, erst recht, wenn er von der Aufspaltung der Spektrallinien im Sichtfeld und der asymetrischen Erweichung letzter Gehirnzellen begleitet wird. Millionen junger Menschen liessen sich nach dem Krieg nach dem Vorbild Heisenbergs zum Quantenmechaniker ausbilden - erst ihre Erfahrung ermöglichte den Austausch einer Hauptantriebswellendichtung beim VW-Käfer. Das ging nicht ohne Begleitschäden ab. Ältere erinnern sich noch, wie nach dem ersten simulierten Zusammenstoss eines Elektrons mit einem Atom die Marmeladengläser im Keller klirrten.



   Populärer als die Physiker sind nur die Ökonomen. Ohne ihre beharrliche, dabei nie die Realität der menschlichen Natur aus den Augen verlierende Arbeit wären Börsenkrisen, Pleiten und Massenentlassungen undenkbar, kurz: Der Kapitalismus wäre genauso langweilig wie das Leben in Nordkorea. Robert J. Shiller entdeckte beispielsweise, dass Finanzmärkte nicht immer effizent arbeiten. Das hat zu einem Umdenken in den Bankhäusern geführt. Beim Abschluss eines Sparvertrags auf der Basis zypriotischer Schiffsfonds werden seitdem auf Seite 1390 die Risiken erwähnt. Nobelpreisträger Eugene Fama sah früh, dass Aktienkurse nur schwer vorhersagbar sind. Daraufhin wurde in der Handelszentrale der Deutschen Bank der sogenannte Fama-Würfel eingeführt, mit dem die Analysten ihre Prognosen ausknobelten. Die Boni-Rate hat sich seitdem verviertausendfacht. Wenn wie geplant jetzt die Nobelpreise für Kleintierkunde, Gartenpflege, vegane Küche und Kindererziehung eingeführt werden, ist die Welt eine bessere.

 

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