Ganz Deutschland ist ausser
sich. "Wir haben es geschafft," hiess es aus dem Kanzleramt.
Demografen rechnen stündlich mit einem sprunghaften Anstieg
der Geburtenrate, die Post plant Sondermarken für Standardbriefe,
die so viel kosten wie eine VW-Aktie. Ökonomen prognostizieren
ein Wirtschaftswunder in Duisburg-Marzloh, den Anschluss Oberbayerns
an Ungarn sowie Vollbeschäftigung für Imame, Schleusser, Gutmenschen
und Germanisten mit dem Nebenfach Willkommenskulturwissenschaften.

Endlich.
Nach Jahren zahlloser Talkshows-Abende mit Hofschranzen der
Berliner Republik feierte das Volk die Rückkehr des "Literarischen
Quartetts" wie den Besuch der Heiligen Drei Könige aus
dem Morgenland - und eines vierten, der seit seiner Einreise
noch nicht registriert wurde. Trotzdem: Eine siechende Kulturnation
(Gruppe 4711, Hellmuth Karasek, Aldi-Musik-Flatrate) schöpft
Hoffnung.
Für all jene, die höchstens
noch die Bedienungsanleitung ihres neuen iPhones oder das Horoskop
von der Sonntagszeitung zu lesen imstande sind: Das "Literarische
Quartett" war kurz nach dem Krieg das Oktoberfest für Kastenbrillenträger,
der Golf GTI unter den Literatursendungen. Worum ging es in
dieser illustren Fernsehrunde? Anscheinend um Bücher. In Wirklichkeit
drehte sich alles um bewusstseinserweiternde Krawattenmuster,
rutschende Herrensocken, unkontrollierten Speichelfluss, Sexismus
gegenüber einer Österreicherin - und um öffentliche Hinrichtungen
von talentierten Dichtern und Denkern.
Dieses
überaus erfolgreiche Konzept dient seit Jahrzehnten als Blaupause
für Schauprozesse aller Art in Saudi-Arabien und Nordkorea.
Schon deshalb bot sich eine Neuauflage des Originals im feuilletonfreundlichen
deutschen Fernsehen an (Kürbissendungen, Jauch). Wie zu besten
Zeiten wurden irgendwelche aktuellen Bücher ohne vorherige Lektüre
in Grund und Boden rezensiert.

Etwa
das Jugendwerk von Ursula von der Leier. Ihre zärtlich blonde
Novelle mit dem Titel "Blasensprung später" ist ein
Schlüsselwerk der niedersächsischen Gynäkologenliteratur. Zahllose
Anspielungen und Zitate lenken den Leser von der wahren Geschichte
ab, die ohnehin keine Rolle spielt. Oder der 156-seitige Wirtschaftskrimi
des nicht umstrittenen Autors Martin Wunderkorn, einem Stipendisten
der Villa Wolfsburg. Schon der Name provoziert mit seiner Kaltschnäuzigkeit:
"Nachhaltigkeitsbericht 2015". Ein toxischer Romman
voller Wortschwaden, turbulenter Rückrufaktionen und Zahlendreher.
Dem Leser stockt der Atem. Ein Meisterwerk des magischen Abgasrealismus.
Durchgefallen bei der Kritik ist allerdings die Nonsenslyrik
des bayrischen Mundartdichters Markus S. Öderl. Sein Herbstgedicht
"Zaun" beginnt mit den Versen "Die Sonnenblumen
leuchten am Grenzzaun / Friedlich sitzen drüben fremde Männer
und Frau'n". Eine Kakafonie sondergleichen. Oder mit dem
seligen Marcel Reich-Reinicki gesprochen: "Die meisten
Dichter verstehen von Literatur nicht mehr als Vögel von Ornithologie."
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