Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (20. September 2015)
 
Chefs in Flipflops
 

   Es ist ein Schmatzen, dem alles Genussvolle abhandengekommen ist. Je nach Bodenbeschaffenheit klingt es hell oder gedämpft, am Ende eines langen Tages unter sengender Sonne geht es in ein Schlurfen über, welches auf mangelnde Körperspannung hindeutet, auf zügellosen Alkoholgenuss, allgemeine Hoffnungslosigkeit, unerfüllte erotische Sehnsucht, Verschuldung, Verfettung, Bewegungsmangel und Bildungsferne. Die Massierung durch Millionen rostbraun verfärbten Füsse steigert dieses Geräusch ins Bedrohliche. So muss es geklungen haben, als die Sandalen der römischen Legionäre im Gleichschritt durch Europa paradierten und meist, ohne anzuklopfen, ins Haus eindrangen. Worüber wir sprechen? Nun, natürlich vom Geräusch der Flipflops, jener aus Schnur und Pappe gebastelten Fussbekleidung, mit der sich der Mensch der Moderne in den Zustand eines Halbwilden zurücktransferiert. In dieser Woche schmatzten die Flipflops ein letztes Mal durch die Büros - ein wehmütiger Nachklang, ein Erinnerungsfetzen an die anfangs nicht enden wollende Ferienzeit.



   Der Übergang vom Urlaub in die Maschinerie des Zivil- und Erwerbslebens belastet den menschlichen Organismus aufs Äusserste. Die bleiche Sonne des ungewohnten Büro-Neonlichts lässt ihn halluzinieren. Trug die bisher so strenge und arbeitsame Kollegin etwa einen Bikini zum morgendlichen Meeting? Und hatte der cholerische Bereichsleiter während seiner Powerpoint-Präsentation einen Sangria-Eimer auf dem Kopf? Der Mensch schnappt und atmet, spürt zittrigen Alkoholentzug, schenkt den Liebsten ungewohnte Zärtlichkeit und erregt sich eine Sekunde später über einen Kekskrümel auf dem Rücksitz seines SUVs. In seinem Büro glaubt er, einen schwitzigen, salzigen Dunst zu atmen, er zählt die Sandkörnchen im Portmonnaie und tastet mit der Zunge über den in der Kantine servierten Kartoffelsalat, der wundersamerweise nach Fisch mit einer Restnote von Sonnenöl schmeckt.

   Draussen ist die Welt im Aufruhr: Tragödien, Katastrophen, Tod und Verzweiflung. Mit Sandalen lassen sich solche Krisen nicht bewältigen. Die Politik trägt deshalb wieder festes Schuhwerk. Der verdammte Urlaub, eine quälende Phase ohne Auftritte in der Öffentlichkeit, ist endlich zu Ende. Skandale der ersten Jahreshälfte sind ausgesessen. Im Parlament wird mit frischen Kräften gepöbelt, geächzt und gerumpelt. Sonnengebräunte Finger streichen über Redemanuskripte, die in der Sonne luzide und geistreich wirkten, aber nichts anderes sind als blutleere Phrasen-Sammlungen.



   Am Ende der ersten Arbeitswoche wurde die Sehnsucht der Deutschen nach dem erneuten Eintauchen in ein tiefes, warmes Blau noch mal übermächtig. Was Wunder, verheisst der Blick nach vorn doch nur Schneeregen und fallende Kurse. Wer diesen Depressionen entfliehen will, sollte sich unsere Politiker, seinen Chef oder einen Wagner-Dirigenten in Flipflops vorstellen. Dann ist für ein paar Minuten wieder alles gut.

 

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