Die Deutschen sollen mal
nicht so jammern, auch die Schweizer nehmen immer mehr Flüchtlinge
auf. Vergangene Woche kamen ein paar Hunderte aus Budapest mit
der Bahn, weil Ungarn es ja jetzt mit dem Bremsen des Flüchtlingsstroms
nicht mehr so genau nimmt. Manch ein Flüchtling hat keine Papiere
bei sich, ist somit quasi erkennungsdienstlich einmal ein Nirgendwo,
dem mühsam ein Heimatland zugewiesen werden muss. Vielleicht
wird er dann in den Kanton Zug zur vorläufigen Unterbringung
verbracht, dann liesse sich die gewagte Überschrift über diesen
Artikel rechtfertigen, aber die Recherche in der Schweiz gestaltet
sich sich diesbezüglich sehr schwierig.
Wie
man lesen kann, stehen sich an Schweizer Bahnhöfen die Journalisten
bereits auf den Füssen, um endlich einen Flüchtling interviewen
zu können. So viele kommen dann nämlich doch nicht. Im Juli
zählte die Schweiz knapp 3900 neue Asylbewerber - in Deutschland
waren es im gleichen Zeitraum 79000.

Angela
Merkel bleibt aber betont locker. Auf ihrer ersten Pressekonferenz
nach den Sommerferien rief sie die Deutschen dazu auf, in der
Flüchtlingskrise mal flexibel zu werden. Beobachter sprachen
sogar davon, dass die sonst so knchentrockene Merkel in der
Angelegenheit so etwas wie eine Vision habe. Die Beamten des
Bundes, die gerade vor Ort ein längst aus den Fugen geratenes
Asylsystem am Laufen halten müssen, glauben hingegen eher, dass
die viel diskutierte Freigabe von Cannabis inzwischen im Kanzleramt
ausgiebig getestet wird.
Merkels Pressekonferenz
in Berlin hatte jedenfalls eine berauschende Wirkung. Die Kanzlerin
habe endlich Klartext gesprochen, vermeldeten die Berichterstatter.
Sie habe sich gegen Fremdenhass ausgesprochen, aber auch dafür,
dass die vielen Wirtschaftsflüchtlinge doch bitte wieder rasch
in ihre Heimatsländer zurücksollten. Wahrscheinlich muss man
mehrere inhaltsleere Pressekonferenzen mit Merkel hinter sich
haben, um darin irgendeinen Klartext zu erkennen. Da freut man
sich womöglich schon, wenn die Kanzlerin statt einem "vielleicht"
ein "vermutlich" in ihre Sätze einbaut.

Nein.
Merkel wird in ihrem Politikerleben keinen Klartext mehr reden,
den hat sie sich mühsam abtrainiert. Man muss in dem Zusammenhang
daran erinnern, dass die Frau vor fast zehn Jahren fast nicht
zur Kanzlerin geworden ist, weil im Wahlprogramm der CDU zu
viel Klartext dringestanden hat. So etwas wird ihr nicht noch
einmal passieren.
Trotzdem wird die
Kanzlerin natürlich in die Geschichte eingehen - und sei es
nur als neues Verb. Der Begriff "merkeln" steht derzeit
ganz oben auf der Vorschlagliste für das Jugendwort des Jahres
2015. Laut dem Langenscheidt-Verlag, der den Wettbewerb veranstaltet,
steht "merkeln" für "Nichtstun, keine Entscheidungen
treffen, keine Äusserungen von sich geben". Wunderschön,
was Merkel dazu auf ihrer Klartext-Pressekonferenz sagte: "Ich
nehme es emotionslos zur Kenntnis."
|