Die Sonne drückt wie ein
weiches Kopfkissen auf die trockene Haut der Grossstädte. Die
Menschen verspeisen Sommergerichte wie Ziegenkäse und Melonensalat,
die reptiliengleich in den Verdauungstrakt kriechen - ein, zwei
Drinks später stolpert das Gehirn hinterher. Und überall über
all dem Trocknen und Dörren hängt eine nervöse Stimmung in der
Luft, die sich vor allem in den Ghettos der Mittelschicht zu
schraubstockartiger Beklemmung verdichtet. Es handelt sich um
die typischen Symptome des Schuljahresende-Wahnsinns, der Deutschland
im Juli mit voller Wucht erfasst.

Durch
die Schulhöfe dröhnen Lyrikfragmente, es wandern Igel, Schildkröten,
Hasen und Cowboys durch die feindliche Schularchtektur, digital
gebannt auf Hunderttausenden von Kamerachips. Flötengruppen
senden verzweifelte Melodien in den geduldigen Sommerhimmel,
wo sie sich mit dem aufsteigenden Bierdunst der Elternverpflegung
vermählen. Kaum abgekühlt zieht die Eltern-Kinder-Karawane weiter
zu den stickigen Mehrzweckhallen und Schul-Auditorien, wo Jazz,
Chorgesang und klassisches Theater bejubelt werden.
Flankiert
wird all dies von den Grillabenden unzähliger Sportvereine,
die die Atmosphäre zum Glühen bringen. Dort ernten verdiente
Ehrenamtsträger Lob und beseelten Applaus für die Opferbereitschaft
der vergangenen Saison. Am Ende solcher Tage fühlen sich die
Besucher wie Bauern, die von der Feldarbeit zurückkehren.
Doch
die versöhnliche Stimmung des zu Ende gehenden Schuljahres kann
nicht jene Angst überdecken, die die Eltern kurz vor Schuljahrsende
im Würgegriff hält. Es geht um die Zeugnisse, die eisige Zwischenbilanz
der Bildungskarriere. Schon eine mittelmässige Kopfnote gleicht
im Milieu der Bildungsbürger einer persönlichen Niederlage.
Sie signalisiert Abkehr vom akademischen Traum, verheisst schnöde
Handarbeit, derbe Funktionskleidung mit Schraubenzieher oder
Maurerkelle. Rutschen die Noten noch weiter ab, bauen sich vor
den Eltern die gesichtslosen Wohnblocks der sozial deklassierten
Schichten auf, richtig miese Zeugnisse signalisieren bauchfreie
Tops, Tätowierungen und erfolglos ausgeübte Kleinkriminalität,
am Ende der Notenskala kommt nur noch Unsagbares, lauert der
Abgrund wie frühe Schwangerschaft, Computerverblödung, Griechenland
ohne Sonne.

Zwar
wird am Ende alles gut, die Hasen und Igel sind zurück im Stall,
die Kopfnoten nicht aller Tage Abend, doch die Angst bleibt.
Wer jetzt auf der Strasse Menschen sieht, deren zitternde Finger
den Schlüssel ihres Audi-Kombis nicht mehr finden, deren flackernder
Blick ins Leere geht und aus deren hektischem Getuschel Satzsplitter
wie "... braucht der Junge eben Förderunterricht in den
Ferien ... muss diese unfähige Lehrerin weg ... notfalls vor
Gericht ... null Verständnis ... Hochbegabung ... nicht erkannt
...", sollte innehalten und die Eltern einfach mal in den
Arm nehmen. Sie haben es wirklich nicht leicht. Die Lehrer übrigens
auch nicht.
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