Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. Juni 2015)
 
Klangteppiche und Satzgirlanden
 

   Die deutsche Sprache ist eine wunderliche Sprache. Sie ist voller Poesie, frivoler Zweideutigkeiten und dunkler Geheimnisse. Um Begriffe wie Vorsteuerabzugsberechtigung, Homo-Ehe und Lebenspartnerschaftsurkunde beneiden uns Sprachpanscher und Finanzämter in aller Welt. "Wir wohnen nicht in einem Land, sondern in einer Sprache", sagte einmal der weise Philosoph Emil Cioran. Was wiederum Anlass zur Vermutung gibt, dass mittlerweise zahllose Bürger dieser Nation der Dichter und Bedenkenträger in wärmebedämmten Leitz-Ordnern am Stadtrand mit doppelt gelochter Mietpreisbremse hausen.



   Wer einmal in den Seelenschlund der kariösen Politkersprache geblickt hat, versteht, warum der nach Friedrich Nietzsche und Lothar Matthäus wohl bedeutendste Sprachskeptiker hierzulande ausgerechnet mit Instrumentalmusik die grössten Erfolge feierte. Der selige James Last schnippte, rollte den kunterbunten Klangteppich aus und jeder verstand ihn augenblicklich - und zwar mit dem Herzen! Glücklich ist, wer vergisst - und auf lästige Konsonanten pfeift.

   Ganz anders Angela Merkel. Die Gipfelpartyqueen swingt von einem roten Teppich zum nächsten, gestikuliert hemmungslos auf Almwiesen, redet andauernd irgendetwas, doch Laien verstehen keine Silbe. Merkel schnippt nie. Bei Debatten bevorzugt sie den nonverbalen Handkantenschlag. Ihre Stärken liegen im emotionslosen Häkeln komplizierter, aber reissfester Satzgirlanden, mit denen sie politische Kontroversen und Zwischenrufer mit einem Ruck erwürgt.

   Merkels Ansprachen erfordern höchste Konzentration. Wenn sie über den Reformwillen der griechischen Regierung spricht, verzichtet sie auf den Konjunktiv II, besser bekannt als Irrealis. Der Konjunktiv II wird verwendet, wenn nichts mehr möglich ist, wenn etwa Zeitungsjournalisten über ihre berufliche Zukunft lamentieren oder der Grexit unmittelbar bevorsteht, was ungefähr dasselbe ist. Von Merkels Sakkofarbe und der Anzahl der verwendeten Kalendersprüche ("Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg") hängt es schliesslich ab, ob der Dax steigt oder Hagel fällt.



   Die Kanzlerin beherrscht die Kunst der vier Adverbien ("manchmal vielleicht auch etwas"), die Haiku-Kenner genauso entzücken wie russische Hacker und amerikanische Geheimdienste. Doch weil bisher niemand den Sinn hinter den zärtlich gewebten Füllwörtern im Kanzleramt entschlüsseln konnte, sieht der Generalbundesanwalt in der Spähaffäre weder eine Gefahr für Deutschland noch die auf traditionelle Fortpflanzung basierende Hetero-Ehe. Studien haben ergeben, dass ausgespähte Kanzlerhandys als Verhütungsmittel unzuverlässig sind. Von weiteren Ermittlungen wird daher abgesehen. Das abgehörte und immer noch vor sich hin vibrierende Mobiltelefon wird demnächst im Olymp der Literatur zu bewundern sein, in einer Marbacher Dauerausstellung mit dem Titel "Sonst. Letztlich. Doch. Wieder. Schicksalsjahre einer Unverstandenen". Man darf gespannt sein. Alternativlos.

 

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