Ich hab's gerade am Knie.
Keine grosse Sache, aber ich komme nicht mehr so schnell voran.
Mein hinkender Gang hat Vorteile. Bei der Arbeit werde ich voller
Mitgefühl gefragt, was mir denn fehle. Das ist nett. Wobei das
Mitgefühl der lieben Mitmenschen allerdings nach spätestens
zwei Wochen aufgebraucht ist. Das Mitleid schlägt im Laufe der
Zeit in ein gewisses Unverständnis um. Was, der hinkt immer
noch, sagen die Blicke der Kollegen. Kann der sich keinen gescheiten
Orthopäden leisten?

Für
alle, die sich Sorgen machen, ich bin ärztlich in guten Händen.
Gut Ding will allerdings Weile haben. Womit ich bei meinem Thema
bin. Durch mein Kniegelenk hab ich die Langsamkeit entdeckt
und auch die Orte, an denen Langsamkeit am hinderlichsten ist.
Ich meine jetzt nicht die Formel-1-Rennstrecken dieser Welt,
sondern den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Meiner
Erfahrung nach ist das grösste Problem des Öffentlichen Personennahverkehrs
jene Eigenschaft, um die uns der Rest der Welt beneidet, nämlich
die Pünktlichkeit. Strassenbahnen und Busse, die pünktlich fahren,
sorgen jeden Tag für grössere Dramen. Ich konnte schon Menschen
beobachten, die neben der fahrenden Strassenbahn herliefen und
wütend gegen die Scheibe klopften. Ich habe schon Strassenbahnführer
wüste Drohungen über die Lautsprecher ausstossen hören, weil
eine Türe nicht freigegeben wurde. Da wartete einer auf den
anderen, der wiederum auf seinen Fahrschein aus dem Automat
wartete. Und immer wieder sehe ich keuchende Menschen, die sich
mit hängenden Köpfen auf eine Bank fallen lassen - es gibt offenbar
nichts Schlimmeres, als wenn einem die Bahn vor der Nase wegfährt.
Mir
selbst blieb das Schicksal bislang meist erspart. Ich bin kein
Mensch, der die Abfahrtszeiten einer Strassenbahn als Vorschlag
versteht, über den man mit dem Fahrer vor Ort feilschen kann.
Ich halte Pünktlichkeit für eine Tugend - und wenn ich doch
mal spät dran bin, dann bin ich eben gerannt.
Seit
ich nicht mehr so rennen kann, sehe ich die Dinge etwas anders.
Früher hätte man zu einem wie mir gesagt, geh halt früher los!
Aber heute? Pünktlich ist nicht mehr alles - und Tempo schon
mal gar nicht. Wir leben ja, gesättigt wie wir eben sind, in
einer Gesellschaft, die alles zugleich haben will. Umweltgerechtes
Wirtschaften, anstrengungsloser Wohlstand sowie eine Bildung,
die einem auf spielerische Art zufliegt. Warum wird dieses Prinzip
nicht auch auf den Nahverkehr angewandt? Warum können Bahne
und Busse nicht weiterhin pünktlich kommen, aber auch ein bisschen
später? Ist es sozial gerechtfertigt, dass einer wie ich nur
wegen einer körperlichen Beeinträchtigung beim Umsteigen den
Anschluss verpasst?

Ein
Vorschlag zur Güte: Wir verlangsamen etwas den Takt und setzen
zugleich für Menschen, die wegen Problemen im Bewegungsapparat
chronisch zu spät kommen, zusätzliche Busse ein. Am besten Gelenkbusse.
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