Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (31. Mai 2015)
 
Dieser Stecken und Stab tröste euch
 

   Was hat der Mensch, zumal der junge, schon über diesen Zeilen aus Psalm 23 gebrütet: "Und ob ich schon wanderte im finsteren Tag, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich." Hey Alder, fragt sich da auch manch betagter, doch im Geiste jung gebliebener Kirchengänger, welcher Stecken? Welcher Stab?

   Gemach, gemach. Noch bevor uns der Damit-wir-klug-werden-Kirchentag der Protestanten mit Weisheit überschütten wird, ist der Bibel-Exegese-Abteilung unserer Redaktion ein Licht aufgegangen - und wir lassen euch schauen, von welch Stecken und Stab da die Rede ist. Es ist nicht der Stab, der uns zur Züchtigung mahnt. Und auch nicht der, der dem Nordic Walker ein treuer Weggefährte ist und den dieser mal zornig gegen den vorbeirauschenden Fahrradfahrer richtet.



   Es ist der Stab, an dessem Ende wir unser Schlauphone hängen, um von uns selbst ein Bildnis zu schiessen - und zwar mit gebührendem Abstand. Egal, ob wir allein oder in Begleitung wandern, der Selfie-Stecken, auch Stick genannt, ist uns jederzeit Stütze und Trost.

   Niemals, rufen wir hinaus in diesen Maienmorgen, niemals war ein Modegag unter der Sonne so praktischer! Niemals hat eine irdische Innovation der Menschheit besser geholfen, sich eigenhändig ins rechte Licht zu rücken!

   Gepriesen seist du, o Selfie-Stick, als Armverlängerung für das perfekte Selbstporträt. Was haben wir früher für erbärmliche Fotos geschossen, unwürdige Abbilde waren's, totenbleich, von Hautunreinheiten übersät. Das war so unerträglich, dass wir schliesslich zum Sklaven der Bildbearbeitung wurden. Ohne die hätten wir unser Antlitz kaum dem Netz zumuten können. Doch der Selfie-Stock erspart Photoshop.

   Nimmermehr wollen wir ihn missen, weder im finsteren Tal noch beim Liebesspiel auf heimischer Matratze oder beim Schnappschuss frisch von der Massenkarambolage auf der Autobahn (Jetzt sieht man endlich auch die Blechschäden im Hintergrund). Und schon gar nicht in den Ferien.

   Der Begriff Urlaub von der Stange bekommt mit dem Selfie-Stock eine ganz andere Bedeutung. Je länger die vergangene Nacht war, desto länger fahren wir ihn aus, Stick für Stick. Mit Grauen erinnern wir uns an die Zeit, als die Selbstfotografie zwar unser Steckenpferd war, aber es uns am Stab mangelte.



   Einst wurden Gemeinschaften ohne ihn zerrissen, denn stets musste einer heraustreten aus der Menge, gewissermassen von der Bildfläche verschwinden, um die Kamera zu halten. Am Ende erinnerte sich kein Mensch mehr an die arme Seele hinter der Kamera - und es ist, als sei sie nie dabei gewesen. Niemals mehr müssen wir in der Fremde die Eingeborenen um Hilfe bitten, was ja doch immer, wir verstehen uns, mit einem gewissen Risiko verbunden war.

   Der Einzige, der nie in den Genuss der göttlichen Erfindung kommen wird, ist wohl der liebe Gott selbst. Ausser, er ist vom Gebot "Du sollst dir kein Gottesbild machen" befreit.

 

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