Weil sie will, dass ihr
ohnehin schon erfülltes Leben noch eine Spur erfüllter
wird, hat sich eine junge Kollegin einen Schrittzähler gekauft.
Ein Schrittzähler ist für junge Leute das, was für uns ältere
der Hund ist. Hunde- und Schrittzählerhalter werden genötigt,
sich zu bewegen. Wer rechtzeitig auf seinen Schrittzähler hört,
dem bleibt der Herzschrittmacher womöglich erspart.
So
ein Schrittzähler ist ein eigenartiger Gradmesser. Wenn die
Kollegin am Ende des Tages auf das Ding schaut und sieht, dass
sie nur 5000 Schritte getan hat, dann sinkt die Stimmung. Bei
10000 Schritten hat sie ihr Soll erfüllt und ist ausgeglichen.
Alles, was darüber liegt, führt zu einer Hochstimmung, die für
ihre Mitmenschen nur schwer zu ertragen ist.

So
denke ich mir das zumindest, seit mich die Kollegin über tägliche
Soll- und Ist-Werte aufgeklärt hat. Denn unter uns gesagt, so
genau kenne ich die Frau nicht. Man könnte sagen, ich kenne
die Kollegin nur flüchtig, was ein Indiz dafür sein könnte,
dass wir beide uns kaum sehen, da wir viel in Bewegung sind.
Aber das ist ein Irrtum, wir sitzen beim Arbeiten nur in verschiedenen
Räumen. Ich meist allein, sie mit ihrem Schrittzähler.
Bemerkenswert
finde ich, dass der Schrittzähler nicht nur für den Körper,
sondern auch für den Geist von Nutzen ist. Seit die Kollegin
den Schrittzähler hat, sagt sie Sätze wie „Das Sitzen ist das
neue Rauchen“. Als sie mir das sagte, wäre ich vor Schreck fast
umgefallen. Nur gut, dass ich sass. Angenommen, ich wäre Raucher
und hätte in dem Moment eine Zigarette im Mund gehabt, ich wäre
vom Stuhl gekippt. Wenn die Behauptung stimmt, dass das Sitzen
das neue Rauchen ist, dann ist eine Zigarette im Sitzen der
sichere Tod.
Ich mag solche Sätze mit
Absolutheitsanspruch. Vor kurzem schnappte ich das Zitat eines
Wurstfabrikanten auf, der nun auch vegetarische Brotaufstriche
im Programm hat: „Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft.“
Der Mann meinte alle Würste, nicht nur geräucherte. Ich las
den Satz im Sitzen. Das sass.
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