Tatsächlich gibt es viele
Stoffe, über die sich nach dieser Woche politisch kontrovers
diskutieren liesse. Da wäre zum einen die spannende Frage, ob
sich Angela Merkel und Francois Hollande bei ihrer deutsch-französischen
Friedenstour in Moskau bei den Jackettfarben symbolpolitisch
abgestimmt hatten (Grabsteingrau und Trauerschwarz), um damit
Wladimir Putin in die Winterdepression zu treiben? Welche bundespolitische
Bedeutung wohl der subversive Johannes-Heesters-Partnerlook
von Ursula von der Leyen (CDU) und Katja Kipping (die Linke)
in Maybrit Ilsners letzter Therapiegruppe hat? Und ob der radikale
Verzicht auf Kniestrümpfe durch den ebenfalls anwesenden Nato-Generalsekretär
Jens Stoltenberg Rückschlüsse auf die neue dünnhäutige Bündnis-Strategie
in Osten Europas zulässt?
Drängender
als all diese weltverschwörerische Stilfragen ist jedoch der
nicht mehr zu leugnende Niedergang der mittelbreiten, dezent
gemusterten Mittelschichtkrawatte. Ein eigenes Häuschen zum
Einrollen. Ein peppiger Zweitwagen mit bunten Aussenspiegeln.
Eine kurze Affäre auf dem Bürokopierer. Ein-, zweimal jährlich
mit der Herdenfamilie wegfahren. Auch sollten es die kleinen
Krawatten einmal besser haben. Das war der Traum der typischen
deutschen Angestelltenkrawatte.

Tag
für Tag derselbe An- und Aufzug. Allmorgendlich sorgfältig umlegen
und durchziehen, sachte hochruckeln und die Krawatte mittig
anpeilen - so sicherte die fleissige Krawatte den Wohlstand
in diesem Land. Aufstieg durch Bindung.
Zwar
hatte man zuletzt schon den Eindruck, dass die deutschen Mittelschichtkrawatten
in der Krise schlaff bis zerknittert von den Truthahnhälsen
hingen. Zudem hatte das Image der aalglatten Schlipse im Bankensektor
stark gelitten. Aber man zog man die Doppelknoten enger, versteckte
hässliche Schuldenflecken unter dem europäischen Schmutzkragen,
verzichtete auf eine Goldnadel extra und sparte sich die längst
fällige, kostenintensive Textilreinigung.
Klar,
das stinkt zum Himmel. Doch Hauptsache, der Wirtschaft geht
es gut. Gerade die stromlinienförmigen Binder mit den Diagonalstreifen
gelten als duldsam. Ohnehin trugen Krawatten mit mittlerem Einkommen
in Deutschland schon immer eine hohe Steuerlast - Experten sprechen
vom Mittelstandsbauch. Umgerechnet heisst das: Auf einen steuerbefreiten
Oberschichtenwanst passen mindestens 154,7 von Abgaben ausgemergelte
Mittelschichtkrawatten.
Doch in den
noch halbwegs gut bestückten Kleiderschränken Europas herrscht
nach dem spektakulären Auftritt des grosszügig aufgeknöpften
griechischen Finanzministers wieder die nackte Angst vor dem
sozialen Abstieg. Krawattenforscher diagnostizieren neben einer
Häufung von dicken Ministerhälsen eine Zunahme von orientierungslos
umherirrenden Adamsäpfeln. Wer weiss: Am Ende landet die gute
deutsche Krawatte noch in einer Sockenschublade einer völlig
gescheiterten EU-Finanzpolitik.
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