Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (08. Februar 2015)
 
Platzende Knoten
 

   Tatsächlich gibt es viele Stoffe, über die sich nach dieser Woche politisch kontrovers diskutieren liesse. Da wäre zum einen die spannende Frage, ob sich Angela Merkel und Francois Hollande bei ihrer deutsch-französischen Friedenstour in Moskau bei den Jackettfarben symbolpolitisch abgestimmt hatten (Grabsteingrau und Trauerschwarz), um damit Wladimir Putin in die Winterdepression zu treiben? Welche bundespolitische Bedeutung wohl der subversive Johannes-Heesters-Partnerlook von Ursula von der Leyen (CDU) und Katja Kipping (die Linke) in Maybrit Ilsners letzter Therapiegruppe hat? Und ob der radikale Verzicht auf Kniestrümpfe durch den ebenfalls anwesenden Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Rückschlüsse auf die neue dünnhäutige Bündnis-Strategie in Osten Europas zulässt?

   Drängender als all diese weltverschwörerische Stilfragen ist jedoch der nicht mehr zu leugnende Niedergang der mittelbreiten, dezent gemusterten Mittelschichtkrawatte. Ein eigenes Häuschen zum Einrollen. Ein peppiger Zweitwagen mit bunten Aussenspiegeln. Eine kurze Affäre auf dem Bürokopierer. Ein-, zweimal jährlich mit der Herdenfamilie wegfahren. Auch sollten es die kleinen Krawatten einmal besser haben. Das war der Traum der typischen deutschen Angestelltenkrawatte.



   Tag für Tag derselbe An- und Aufzug. Allmorgendlich sorgfältig umlegen und durchziehen, sachte hochruckeln und die Krawatte mittig anpeilen - so sicherte die fleissige Krawatte den Wohlstand in diesem Land. Aufstieg durch Bindung.

   Zwar hatte man zuletzt schon den Eindruck, dass die deutschen Mittelschichtkrawatten in der Krise schlaff bis zerknittert von den Truthahnhälsen hingen. Zudem hatte das Image der aalglatten Schlipse im Bankensektor stark gelitten. Aber man zog man die Doppelknoten enger, versteckte hässliche Schuldenflecken unter dem europäischen Schmutzkragen, verzichtete auf eine Goldnadel extra und sparte sich die längst fällige, kostenintensive Textilreinigung.

   Klar, das stinkt zum Himmel. Doch Hauptsache, der Wirtschaft geht es gut. Gerade die stromlinienförmigen Binder mit den Diagonalstreifen gelten als duldsam. Ohnehin trugen Krawatten mit mittlerem Einkommen in Deutschland schon immer eine hohe Steuerlast - Experten sprechen vom Mittelstandsbauch. Umgerechnet heisst das: Auf einen steuerbefreiten Oberschichtenwanst passen mindestens 154,7 von Abgaben ausgemergelte Mittelschichtkrawatten.

   Doch in den noch halbwegs gut bestückten Kleiderschränken Europas herrscht nach dem spektakulären Auftritt des grosszügig aufgeknöpften griechischen Finanzministers wieder die nackte Angst vor dem sozialen Abstieg. Krawattenforscher diagnostizieren neben einer Häufung von dicken Ministerhälsen eine Zunahme von orientierungslos umherirrenden Adamsäpfeln. Wer weiss: Am Ende landet die gute deutsche Krawatte noch in einer Sockenschublade einer völlig gescheiterten EU-Finanzpolitik.

 

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