Der Wahlerfolg der griechischen
Linken wird Europa verändern. Das Modell der zügellosen Effizienz,
vorangetrieben von Deutschland und anderen Maschinenstaaten,
ist am Ende. Europa entdeckt den Charme des Verfalls, der Geruch
von Feta, Moussaka und geharztem Wein verdrängt die sterile
Reinluft der High-Tech-Firmen Mitteleuropas.

Experten
sind sich einig, dass der Wechsel in Griechenland die bekannte
Dominotheorie bestätigen wird. Dem Vorbild Hellas folgt der
Rest Europas. Die Fachwelt spricht vom Triumph der Hafenbecken-Ökonomie,
die in den Anrainerstaaten des Mittelmeers eine uralte Tradition
hat. Statt masslosen Gewinnstrebens wird kontemplative Welteinsicht
gepflegt. Statt sinnlosen Mehrwert zu erwirtschaften, sitzt
der erwerbstätige Mann am Hafenbecken, krault sein Brusthaar
und versucht, im Spiel der öligen Wellen eine Gesetzmässigkeit
zu erkennen. Ansonsten ist er sich seiner Sterblichkeit bewusst.
So
auch am Tag nach der Wahl. Die Griechen standen auf wie immer,
liessen die scheue Wintersonne in ihre Zimmer blinzeln, ehrten
den Montag mit philosophischem Müssiggang und blickten mit einem
Ausdruck des Mitleids auf Resteuropa, wo Regieruungschefs hektisch
telefonierten, Verwünschungen in Richtung Akropolis ausstiessen
und ihre gereizten Nerven mit verschiedenfarbigen Tabletten
und dem Studium einiger für Athen entwickelten Foltermethoden
zu beruhigen suchten.
In Hellas dagegen
ist das Leben wieder einfach. Kaum waren die Stimmen ausgezählt,
begann die griechische Nationalbank Geld zu drucken. DIe Notenpresse
brummte wie ein Schiffsdiesel, der Wind trug zerrissene Schuldpapiere
durch die Strassen. Binnen kurzer Zeit blühte die Wirtschaft
auf. Oliven (schwarz, ohne Stein) und die aus Industriegummi
gefertigten Calamari fanden in Osteuropa reissenden Absatz.

So
mischt sich in Paris, Mailand oder Frankfurt ein bewundernder
Unterton in das misstrauische Grummeln. Der griechische Weg!
Soufflaki bei vollem Lohnausgleich! Das wäre ja ... "Was
die können, könne wir auch", tönten Regierungschefs. Den
Anfang machte der italienische Politiktriebtäter Renzi. Er liess
sich mit den Beinen in einem Bottich toskanischem Rotweins fotografieren
und kündigte an, nur noch 23 Stunden pro Tag zu arbeiten zu
wollen. David Cameron tanzte im britischen Parlament Sirtaki
und öffnete sein Hemd so weit, dass der Blick bis Schottland
reichte. Angela Merkel unterzeichnete einen bilateralen EU-Beleidigungsvertrag
mit Athen und kochte Kartoffelsuppe im Kanzleramt.
Der
ganze Kontinent ist in einer Stimmung heiterer Gelassenheit.
Marktschreierische Demonstrationen, börsenhysterische Untergangsszenarien
weichen dem sokratischen Dialog. Zeus und Kalliope sind jetzt
schon die beliebtesten Vornamen, in den Karneval geht man als
Griechen-Salat verkleidet. Ein Platz am Hafenbecken ist mehr
wert als irgendeine Top-Immobilie. Griechenland ist wieder die
Wiege Europas.
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